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Die letzten Kinder von Schewenborn

Die letzten Kinder von Schewenborn

Titel: Die letzten Kinder von Schewenborn
Autoren: Gudrun Pausewang
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der Vater sagte schließlich zu ihr: »Laß ihn nur. Er ist stark. Er hat's bis jetzt von den dreien am besten verkraftet. Sie müssen sich ja langsam dran gewöhnen. Und ich kann auf die Dauer sowieso nicht alles allein machen. Er ist zwölf Jahre alt, fast dreizehn. Er kann mir und dir schon eine Menge Arbeit abnehmen. Zum Beispiel das Wasserschleppen.«
    Er drückte mir einen Eimer in die Hand und schickte mich zur Schewe. Ich lief durch den Schloßpark und schwenkte den Eimer. Einmal drehte ich mich um und schaute zur Stadt zurück. Aber das war nicht das Schewenborn, das ich kannte. Das war ein Ort voller Ruinen und ohne Kirchturm, und daran änderte auch nichts, daß es ein Sommertag voll Sonne und blauem Himmel war.
    »Willst du etwa klauen?« fragte eine Frau in dem Schrebergarten, der an den Schloßpark grenzte. »Verschwinde, oder du kriegst Prügel!«
    Sie drohte mir mit einem Spaten. Ich kannte sie nicht. Ich schaute mich um, ob sie jemand anderen meinte. Aber ich war allein. Schließlich begriff ich, daß sie mich für einen Obdachlosen hielt. Daraus schloß ich, daß die Flüchtlinge die Gärten plünderten, um nicht zu verhungern.
    Ich schöpfte den Eimer voll Schewe-Wasser und trug ihn heim. Aber ich verdrückte mich schnell wieder. Nur nicht wieder im Haus bleiben müssen!
    Es gab viel zu sehen. Die Maleks wühlten in den Trümmern ihres Hauses. Es war am Katastrophentag abgebrannt, kurz bevor sich der Wind gedreht hatte. Jetzt sammelte die alte Frau Malek Brauchbares aus dem Schutt in einen Sack. Dabei sprach sie mit sich selber. Tränen liefen ihr über die Wangen.
    Der alte Malek war mit dem Großvater zusammen in die Schule gegangen. Er schaute auf und fragte: »Sind sie noch immer nicht heimgekommen, Roland?«
    Ich schüttelte den Kopf.
    »Sie haben mich noch gefragt«, murmelte er, »ob wir mitwollten nach Fulda. Aber wir hatten keine Zeit. Hätten wir's doch getan!«
    »Sei nicht undankbar«, sagte Frau Malek, die so elend und schmutzig aussah, daß ich sie zuerst gar nicht erkannt hatte. »Schließlich haben wir Glück gehabt. Wir sind bei Meißners untergekommen und haben auch noch den Garten. Wir brauchen nicht zu verhungern - wenigstens noch nicht gleich.«
    »Es wird sich lange hinziehen«, seufzte er. »Deshalb.«
    Vor dem Lebensmittelgeschäft an der Ecke drängte sich eine Menschenmenge. Ich schaute durch die offenen Schaufenster. Frau Kernmeyer saß an der Kasse. Vor der Kasse wartete eine lange Schlange schwerbepackter Käufer. Herr Kernmeyer stand am Eingang und ließ immer nur zehn Leute auf einmal herein.
    »Wir verkaufen schnell noch alles, bevor uns die Fremden ausplündern«, sagte er. »Ja, jetzt hat sich's ausgepraßt. Jetzt geht's wieder ums nackte Leben wie Fünfundvierzig!«
    »Warum bleiben wir eigentlich so brav in der Reihe?« fragte eine junge Frau mit verbundener Schulter. »Die Spielregeln von vorher gelten doch nun nicht mehr.«
    Einige Leute nickten. Aber alle, auch die junge Frau, blieben unschlüssig stehen und rückten langsam weiter auf Herrn Kernmeyer zu.
    Als ich in die Fuldaer Straße kam, fielen mir die vielen Autos auf, die auf beiden Seiten der Straße herumstanden. Manche waren unter Trümmern verschüttet, manche ausgebrannt, andere noch fahrbereit, nur bedeckt von einer dicken Staubschicht. Aber kein Wagen fuhr. Die Straße hatte sich in eine Fußgängerzone verwandelt. Die meisten Leute schwenkten Eimer und Kanister. Sie waren unterwegs nach Wasser.
    Dann traf ich den Michi Schubert. Den kannte ich gut. Ich hatte oft mit ihm gespielt. Er war fast genauso alt wie ich. »Da habt ihr aber Glück gehabt«, sagte er. »Frankfurt soll doch auch weg sein.«
    Ich starrte ihn entsetzt an. Ich mußte an Noppi, unseren Pudel, denken. Dann dachte ich an Frau Kellermann und an Frank und Sandra Kellermann. Frank war so alt wie Judith und Sandra ein Jahr älter.
    »Tschüs«, sagte Michi, »ich hab's eilig, ich muß in die Schule.« »Wieso?« fragte ich, noch ganz durcheinander. »Es sind doch Ferien.«
    »Meine Mutter ist dort bei der Feldküche«, sagte er. »Von der Feuerwehr. Sie kochen für die Obdachlosen und Verletzten. Die ganze Schule ist voll, sogar der Schulhof. Gestern kamen so viele, daß sie sie auch noch ins Bürgerhaus und die Jugendherberge gelegt haben. Aber das Essen reicht nicht für alle.«
    »Meine Großeltern sind tot«, sagte ich.
    »Ich weiß«, sagte er. »Alle Schewenborner, die in Fulda gearbeitet haben, sind nicht wiedergekommen. Hier
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