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Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Titel: Die Letzte Liebe Meiner Mutter
Autoren: Dimitri Verhulst
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mit Fußpilz zwischen den Zehen nach Hause, darum versuch ich, ihn aus dem Schwimmbad möglichst herauszuhalten.«
    Den Zehenfußpilz hatte Jimmy als ein Geschenk Gottes erfahren, denn eigentlich machte Wasser ihm eine Heidenangst. Erst mit vierzehn sollte es ihm gelingen, sage und schreibe zwei Meter Brust zu schwimmen. Im sechsten Schuljahr sollte der Lehrer noch überlegen, ihn ins Wasser zu werfen, als Tauchübung für die anderen und Teil der anstehenden Prüfung zum Rettungsschwimmer. Das war nur eine der vielen Piesackereien, die Jimmy sich in Badehose gefallen lassen musste. Gewisse Strömungen der Psychoanalyse hätten Jimmys Abscheu vor Wasser zweifellos als typische Neurose erklärt, verursacht von einem ungelösten Konflikt aus der Zeit, als Jimmy noch im Fruchtwasser trieb. Ein Konflikt, natürlich, zwischen Mutter und Kind. Doch mit dieser Erklärung durfte man Martine nicht kommen.
    »In meinem Fruchtwasser gab’s überhaupt keinen Konflikt zwischen Jimmy und mir!«
    Auch Jimmy hielt nichts von dieser Erklärung. Er, und nur er, wusste genau, woher seine Wasserscheu kam. Nicht seine Mutter war der Grund dieser Phobie, sondern sein Vater, der übrigens kein schlechter Schwimmer war und dieselbe Kraultechnik hatte wie Gordon Scott in Tarzan, der Gewaltige . Er wechselte vom Schmetterling lässig zum Seitenschwimmen, ging nach ein paar Metern Brust ebenso locker zum Delphin über, konnte – als eingefleischter Raucher! – vier Minuten und siebzehn Sekunden unter Wasser bleiben und war fest entschlossen, seinem Sohn eines Tages die edle Kunst des Schwimmens beizubringen. Und der Tag kam: der 14. Oktober 1977. Jimmy stand am Beckenrand, zitternd vor Kälte, und schaute zu, wie sein Vater die einleitenden Demonstrationen begann. Mit viel Show und Trallala sprang er ins Wasser, leider im Nichtschwimmerbereich, wodurch er mit dem Kinn voll auf den Boden knallte und sein Gebiss verlor. Als der Vater so zahnlos aus dem Wasser auftauchte, hatte Jimmy unwillkürlich loslachen müssen, und das sollte er büßen. Niemand demütigte seinen Alten ungestraft vor allen Leuten. Der Vater packte ihn im Nacken und zerrte ihn mit in die Tiefe, auf der Suche nach dem Gebiss, das erst zwei Minuten später wieder herausgefischt wurde. In Jimmys Fall reichte das für gut durchgespülte Lungen und ein lebenslanges Trauma.
    Mochte die Küste mit dem Zug auch schnell zu erreichen sein – insgesamt war es vielleicht doch keine so gute Idee.
    »Und wenn wir mit dem Bus in Urlaub fahren würden?«, hatte Wannes schließlich gefragt. »Irgendwas Organisiertes? Was meinst du?«
    »Kennst du noch den Slow?«, hatte Martine versonnen erwidert.
    »Hä? Welchen Slow?«
    »Ach, ich mein bloß: ›Kennst du noch den Slow?‹ – das ist ein Lied von Willy Sommers. An den Titel musst ich grad denken.«

Kapitel 5
    D a sie in der Vergangenheit immer wieder mit einem blauen Auge hatte herumlaufen müssen und den Neugierigen nicht ewig weismachen konnte, sie sei gegen die Tür gerannt, die Treppe hinuntergefallen oder habe zu nah am Tor ihres Fußball spielenden Sohnes gestanden, hatte Martine eine gewisse Menschenscheu entwickelt. Wie ihr Vater lief sie gesenkten Blicks durch die Straßen, doch wenn sie dabei eine Münze fand, war das für sie reine Nebensache. Hörte sie Maurer in Wochenendlaune von den Gerüsten pfeifen, ein Ereignis, das sich zum Glück immer seltener ergab, stieg ihr die Schamröte bis über die Ohren, und sie wäre am liebsten weggelaufen. Hörte sie irgendwo ihren Namen rufen, täuschte sie Schwerhörigkeit vor und setzte unbeirrt – und vor allem, ohne sich umzudrehen – ihren Weg fort. Man konnte sie leicht derb im Umgang finden, ihre Verschlossenheit als Desinteresse missverstehen. Wie man es auch drehte und wendete und welche Entschuldigung man auch suchte: Raffiniert waren ihre sozialen Fähigkeiten nicht. »Guten Tag« sagte sie so, als müsste sie für jede Silbe einzeln bezahlen, falls sie es überhaupt über die Lippen brachte. Und jemandem höflich die Tür aufzuhalten war erst recht nicht ihr Ding.
    Unauffällig zu leben – ein größeres Verlangen kannte sie nicht. Ein Leben mit so wenig Augenkontakt wie möglich. Eine Weile hatte sie zu diesem Zweck ihr Heil in Sonnenbrillen gesucht, doch leider fiel ihr Geschmack immer ausgerechnet auf jene Modelle, die sie in den Mittelpunkt des Interesses katapultierten.
    Ihr ganzer Charakter beruhte auf Scham. Sie schämte sich für ihre Herkunft, ihre
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