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Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Die Letzte Liebe Meiner Mutter

Titel: Die Letzte Liebe Meiner Mutter
Autoren: Dimitri Verhulst
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in die Affäre mit Martine, die bereits ein Kind hatte. Glück im Unglück, möchte man sagen, denn genauso gut hätte es ja auch eine Frau sein können, der schon mehrere Kinder am Rockzipfel hingen.
    Als er im Alter von siebenundzwanzig seinen Eltern endlich mitteilte, das Haus verlassen zu wollen, wenn auch peinlicherweise für eine schon mal verheiratete Frau, hatte sein Vater ihn überrascht: »Das braucht dir überhaupt nicht peinlich zu sein. Die Statistiken sprechen für dich: Neuwagen bauen viel öfter Unfälle als gebrauchte. Jetzt hast du eine Frau, die du nicht mehr einfahren musst, ich wünsch dir mit ihr alles Glück auf der Welt.«
    Zu sagen, dass Martine auf Wannes’ Reisevorschlag sofort mit Begeisterung reagierte, wäre übertrieben gewesen. Seit Februar wohnten sie erst zusammen, in einer Mietwohnung, für die sie reichlich Kaution hatten zahlen müssen und in der sie als moderne Menschen sofort Teppichboden verlegt hatten. Vorläufig aßen sie noch zu dritt an einem Tisch, auf dem kaum ein Scrabblespiel genug Platz gehabt hätte, weil sie die Ausgaben strecken und nicht gleich den ganzen Hausstand zusammenkaufen wollten. Außerdem musste Martines Scheidung noch vor Gericht durchgeboxt werden, und Rechtsanwälte standen nicht in dem Ruf, karitativ tätig zu sein. Jimmy war in dem Alter, in dem er seiner Kleidung schon in der Umkleide wieder entwuchs, seine Schulausflüge fraßen immer größere Löcher in die Haushaltskasse, und seine Schuheinlagen wurden von der Krankenkasse nicht übernommen. Gut, Martine und Wannes hatten Arbeit, was in dieser unsicheren Zeit nicht selbstverständlich war. Obwohl es keine Traumjobs waren, es waren doch feste Stellen. Und auch wenn die kein Traumeinkommen boten, immerhin verdienten sie was. Aber trotzdem, trotzdem … Man musste vorsichtig bleiben. Abwärts ging es immer schneller als aufwärts. Von heute auf morgen konnte man seine Entlassung bekommen, einfach so, kommentarlos und manchmal sogar ohne Dank für die erwiesenen Dienste. Das hörte man dauernd, und die Gewerkschaften hatten das Nachsehen. Hier und da kamen die Kommunisten wieder aus der Versenkung hervor – kein Zeichen, dass es der Wirtschaft unbedingt gutging. Das Land hatte rund zweihundert Entlassungen pro Tag zu verkraften, beim Stahlriesen Cockeril-Sambre drohte man mit achttausend – achttausend auf einen eiskalten Schlag! –, die Arbeitgeber tönten, dass die Löhne gesenkt werden und weniger Leute härter arbeiten müssten, der automatische Inflationsausgleich wurde abgeschafft … War es da kein dekadenter Exzess, in diesen schwierigen Zeiten auf Reisen zu gehen?
    Erst kürzlich noch hatte Jimmy sich einen Hund gewünscht, mit flehendem Blick, den er sich vom täglichen Hunger-Äthiopier in den Siebenuhrnachrichten abgeschaut hatte, unter verstärktem Einsatz von »Och« und »Bitte!«. Jetzt, wo seine Mutter jemanden zum Lieben gefunden hatte und endlich auch mal von jemand anders umarmt wurde als von ihrem Sohn, musste dieser sich neue Quellen der Zuneigung suchen. Adepten Freuds zufolge ist Mutterliebe nie ganz zu ersetzen, aber ein Hund hätte zumindest die gröbsten psychologischen Defizite ausgleichen können. »Eine Mietwohnung ist kein Ort für einen Hund«, hatte Martine kategorisch erklärt, und niemand konnte ihr darin widersprechen. In Wahrheit jedoch waren ihr die zu erwartenden Kosten für Hundefutter und eine Hundeleine zu hoch. Als Kompromiss bekam Jimmy einen Goldfisch, der – bis wieder genug Geld im Sparstrumpf wäre, um ein Aquarium zu kaufen – seine Runden in einem gespülten Gurkenglas drehen musste.
    Als wäre eine Mietwohnung der passende Ort für einen Goldfisch!
    »Ein undankbares Kind!«, fand Wannes. »Man sieht gleich, dass er nicht von mir ist.«
    Auf ausgabentechnischem Gebiet war Martine ein Opfer ihrer Erziehung. Ihre Eltern, typisch für jene Generation, waren als geizige Knicker aus dem Weltkrieg hervorgegangen. Jeder Franc musste mindestens zehnmal umgedreht werden, bevor man ihn ausgeben durfte. Auf der Straße schaute ihr Vater stets zu Boden, die einzige Art, Geld zu finden, und obendrein eine glänzende Taktik, den Freundeskreis klein zu halten. Kein Stück Kupfergeld war ihm zu nichtig, sich danach zu bücken, trotz seines schwachen Rückens. Fragte der Metzger beim Wiegen, ob es ein paar Gramm mehr sein dürften, antwortete er wie aus der Pistole geschossen: »Wenn ich’s zum Preis von ein paar Gramm weniger kriege, gern!« Da sie einen
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