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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune
Autoren: Nicolas Remin
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Reliquie.»
    «Und was machen
wir mit dem echten Gral?» Die Principessa warf einen Blick
zum Kaminsims, wo das Glas aus der Casa dei Tuffi zwischen einer kleinen
Bronzefigur und einem Aschenbecher stand und äußerst
unauffällig aussah.
    «Wieso echter Gral? Fängst du
jetzt auch damit an?»
    «Ich meine, wozu
benutzt man ein Glas, in dem vor fast zweitausend Jahren ein
gewisser Joseph von Arimathäa das Blut Christi aufgefangen
hat?»
    «Hast du eine
Idee?», fragte Tron.
    «Ich könnte
es für meine Haarnadeln verwenden», schlug die
Principessa vor. «Immerhin schuldest du mir noch ein
Glas.»
    Tron griff nach der
Kuchengabel und beförderte ein weiteres Stück Tarte
Eleonore in
seinen Mund. Das Stück war ziemlich groß. «Da
müttig öch voea it Otti echen», sagte
er.
    «Ich verstehe
kein Wort, Tron.»
    Tron schluckte das
Stück hinunter. Dann sagte er: «Da müsste ich
vorher mit Bossi sprechen. Schließlich haben wir beide das
Glas ausgegraben. Aber ich bezweifle, dass Bossi damit ...»
Er unterbrach sich, denn in dem Moment öffnete sich die
Tür, und Massouda (der Moussada aufs Haar glich) betrat das
Speisezimmer des Palazzo Balbi-Valier. Er durchquerte den Raum mit
schnellen Schritten, überreichte der Principessa einen
Briefumschlag und murmelte etwas Unverständliches.
    «Das ist eben
für dich abgegeben worden», sagte die Principessa,
nachdem sie den Umschlag gemustert hatte. Sie schob das Couvert
stirnrunzelnd über den Tisch.
    Der Umschlag war aus
dickem, luxuriösem Papier und hatte anstelle des Absenders ein
Wappen auf der Rückseite, das Tron gut kannte - ein Oval mit
vier diagonal angeordneten Streifen.
    «Vom wem ist
das?», wollte die Principessa wissen.
    «Von
Contarini», sagte Tron knapp. Er riss den Umschlag auf und
überflog die wenigen Zeilen.
    «Und was will
er?»
    «Unklar»,
sagte Tron, nachdem er die Botschaft Contarinis zweimal gelesen
hatte. «Er reist morgen früh wieder nach Rom ab und
schlägt ein Treffen im Florian vor. Er schreibt, es gäbe
noch etwas, das ich wissen sollte. Es betrifft
Flyte.»
    «Wann will er
dich treffen?»
    «In einer
Stunde», sagte Tron.
    «Irgendeine
Ahnung, worum es gehen könnte?»
    Tron schüttelte
den Kopf. «Nein», sagte er. «Aber wenn ein Tron
einen Contarini trifft, gibt es meist Ärger.»
    *
    Der letzte Akt dieses
Falles spielte im maurischen Salon des Café Florian und
dauerte eine knappe Stunde. Da an den Nebentischen Venezianer
saßen, wurde die Unterhaltung aus Gründen der Diskretion
in französischer Sprache geführt. Contarini war in
eleganter schwarzer Reisekleidung erschienen (sein Gepäck
wartete bereits am Bahnhof) und hatte eine Consommé
double bestellt, während Tron sich
starken Kaffee kommen ließ, um die Wirkung des im Palazzo
Balbi-Valier genossenen Champagners zu kompensieren. Es dauerte,
wie gesagt, alles in allem eine knappe Stunde, und wenn Contarini
über die Belehrung (denn um nichts anderes handelte es sich)
Befriedigung empfand, so war er diesmal höflich genug, sie
nicht zu zeigen. Im Übrigen hatte sich Tron sehr schnell -
noch während Contarini sprach - dazu entschlossen, diese
Enthüllung für sich zu behalten. Selbstverständlich
würde er die Principessa unterrichten, und auch Bossi hatte
ein Recht darauf, die Wahrheit zu erfahren. Das Problem mit dem
Gral (wohin damit?) war jedenfalls gelöst. Die Principessa
würde das Glas für ihre Haarnadeln verwenden dürfen.
Im Grunde, dachte Tron, war das alles zum Lachen. Oder es wäre zum Lachen gewesen,
wenn Lodron nicht diese Spur tödlicher Verwüstung
hinterlassen hätte.
    Sie verabschiedeten
sich am Molo, gaben sich dort friedlich die Hand, wo die Galleante
Enrico Dandolos an einem Herbstmorgen des Jahres 1202 abgelegt
hatte, um Konstantinopel zu erobern, und wo Contarini unter
normalen Umständen eine Gondel zum Bahnhof genommen
hätte. Aber der Canalazzo lag - obwohl seit zwei Tagen die
Sonne schien - immer noch unter einer dicken Kruste aus Eis, und
Contarini blieb nichts anderes übrig, als sich zu Fuß
auf den Weg zum Bahnhof zu machen.
    *
    «Du hast recht
gehabt», sagte Tron. Er nahm einen kräftigen Schluck von
seinem eisgekühlten Cliquot. Moussada hatte das
Glas eben zum zweiten Mal aufgefüllt.
    Tron fand, dass das
Speisezimmer der Principessa vor zwei Stunden noch ein wenig anders
ausgesehen hatte. Die Dinge (Champagnergläser, Kuchengabeln)
wirkten immer ein wenig anders, wenn man gerade etwas Neues
über die Welt erfahren hatte. Meistens sahen sie
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