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Die letzte Lagune

Die letzte Lagune

Titel: Die letzte Lagune
Autoren: Nicolas Remin
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war, kennt den Sultan von
Ägypten persönlich. Soll ein reizender Mensch sein,
gebildet. Hat Papa immer ein schönes Geschenk für Mama
mitgegeben. Gegen solche Leute führt man nicht gerne
Krieg.
    Noch drei Tage bis
zur Einschiffung und ich weiß immer noch nicht, für
welche Aufgabe man mich vorgesehen hat. Vielleicht etwas
Diplomatisches? Ich spreche leidlich Französisch und auch ein
wenig Deutsch. Außerdem habe ich (im Gegensatz zu Marino) ein
gewinnendes Äußeres.
    27. 9.
(abends)
    Es wird immer
bizarrer. Eben Folgendes gehört. Bonifaz von Montfort, der
französische Oberbefehlshaber, ist heute Nachmittag mit
zwölf Berittenen auf der Piazza erschienen. Jawohl, mit
Pferden. Nachdem sich das Erstaunen der Leute gelegt hatte, wurde
die Stimmung aggressiv. Die Franzosen wurden erst mit Tomaten, dann
mit Steinen beworfen.
    Bevor die Situation
eskalierte, erschien die Leibgarde des Dogen und brachte die Ritter
auf ihr Schiff zurück. Sie waren mit einem kleinen
Transportsegler am Molo gelandet. Unverschämtes
Pack.
    28.9.
    Papa
äußerst nervös, nimmt jetzt kein Blatt mehr vor den
Mund. Ergötzliche Szene beim Mittagessen. Was dieser Mistkerl
(so Papa wörtlich) Montfort sich einbilde! Uns Knall auf Fall
den Weizenhandel zu ruinieren! Und überhaupt sei dieser ganze
Kreuzzug nichts anderes als ein großangelegter Raubzug, dem
man ein frommes Mäntelchen umgehängt hat.
    Mama, die den
Kreuzzug immer für ein Unternehmen christlicher
Selbstlosigkeit gehalten hat, war schockiert. Hat den Kopf
über ihre Suppe (Tintenfisch, zu viel Safran, aber sonst
ausgezeichnet) gesenkt, um ihre bebenden Mundwinkel zu verbergen.
Vermutlich wird sie sich heute Abend bei ihrem Beichtvater, dem
dicken Carbon, über Papas Ansichten beklagen. Da können
die beiden dann wieder die Augen verdrehen und sich darüber
grämen, dass die Trons nicht den wahren Glauben haben. Als
wären die Venezianer jemals besonders fromm gewesen. Aber Mama
stammt ja auch aus Ferrara. Komischer Gedanke, dass
ausländisches Blut in meinen Adern rollt. Gut, dass ich nicht
wie ein Ausländer aussehe. Und nicht die engstehenden Augen
und die kleine Nase meines sauberen Brüderchens
habe.
    Hartnäckige
Kopfschmerzen. Nach dem Mittagessen mit kalten Kompressen ins Bett
gelegt. Hat aber nicht geholfen.
    29.
9.
    Gestern Nacht bei
Annunziata mein letztes Geld losgeworden, sie besteht immer auf
Barzahlung. Im Grunde kann ich mir eine Frau wie A. nicht leisten,
obwohl ich deutlich weniger zahle (sagte sie) als die meisten
Kunden. A. hat jetzt vorwiegend Franzosen, kassiert Mondpreise.
Will ihr vielleicht zum Abschied einen von Mamas Ringen schenken.
Den mit dem dicken Saphir. Mama bewahrt ihren Schmuck in einem
Kästchen auf, das auf dem Kamin ihres Schlafzimmers steht.
Sollte auffallen, dass der Ring fehlt, bin ich längst
über alle Berge.
    30.9.
    Immer noch
Kopfschmerzen. Gestern zu viel Falerner. Muss in Zukunft weniger
trinken oder nicht schon vor Mittag damit anfangen. Habe Mamas Ring
bereits an mich genommen. Rechne fest damit, dass ich entweder
heute oder morgen erfahre, welches Amt ich bekleiden werde.
Immerhin legen wir übermorgen ab.
    Hörte
vormittags im andron (hinter einem Stapel
Pfeffersäcke) einem Gespräch zu, das Papa mit Andrea Bon
führte, einem Mitglied der Steuerkommission des Großen
Rates. Bon sagte: «Dandolo hat gewusst, dass die Franzosen
nicht zahlen können. Die Frage ist, was er an Stelle des
Geldes von ihnen verlangen wird. Jedenfalls können Sie
aufatmen, Tron. Wir werden definitiv nicht Ägypten
angreifen.»
    Papa hat
tatsächlich aufgeatmet, es war deutlich zu hören, wie
auch Bons amüsiertes Lachen. Die Bons importieren Holz aus
Dalmatien und exportieren Salz und Glas nach England und
Frankreich. Der Zusammenbruch des Weizenhandels mit Ägypten
würde sie nicht berühren.
    Interessant. Also
stimmt das Gerücht. Die Franzosen können tatsächlich
nicht zahlen. Dandolo, der alte Fuchs, hatte damit gerechnet, und
jetzt hat er sie in der Hand. Genial. Die Frage ist, was er von
ihnen verlangen wird.
    1.10.
(nachmittags)
    Endlich! Mama sagt,
die Gnade des Herrn habe über mir geleuchtet. Bin Erster
Schreiber im Büro des Dogen. Kabine im Flaggschiff! Den
Ausschlag gab, sagte Papa, meine schöne Handschrift und -
natürlich - der Umstand, dass ich ein Tron bin. Bin Papa, der
heute Mittag in den andron kam, spontan um den Hals
gefallen. Marino stieß dazu und gratulierte gequält.
Mein Brüderchen hätte mich wohl am liebsten bei
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