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Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)

Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)

Titel: Die letzte Geisha: Eine wahre Geschichte (insel taschenbuch) (German Edition)
Autoren: Sayo Masuda
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niemand Schamgefühle beigebracht hat; das ist wohl auch ein Instinkt menschlicher Wesen. Ich will also weglaufen, aber sie stellen sich mir in den Weg und sagen, sie lassen mich nicht durch, bis ich den Po rausstrecke.
    »He, du da, Tsuru, du Affenkind, du hast wohl einen knallroten Po!« hänseln sie mich. Erst wenn ich weine, lassen sie von mir ab. Wenn ich weine, freuen sich die Kinder, jubeln »haah, das Affenkind heult!«, und laufen dann auseinander. Ich habe mir das vermutlich gemerkt und bin sie dann immer losgeworden, indem ich am Ende geheult habe.
    Die leuchtenden Augen der Kühe
    Was meine Arbeit angeht, so bin ich um 5 Uhr morgens geweckt und zum Bach geschickt worden, zum Wäschewaschen. Auf dem Land geht man zum Geschirrspülen und zum Wäschewaschen an verschiedene Bäche. Im Winter sind beide Bäche zugefroren; nur an der Stelle, wo alle ihre Wäsche waschen, ist das Eis dünner. Ich schlage das Eis an der dünnen Stelle auf und wasche die Windeln, aber einem Kind geht das nicht so flott von der Hand; wenn die gewaschenen Windeln ausgewrungen werden sollen, sind sie schon steif gefroren. Also tauche ich sie, die frostwunden Hände warm hauchend, wieder ins Wasser und wringe sie aus. Wenn ich mit dem Waschen fertig bin, muß ich putzen, und dann gibt's endlich Frühstück. Erst danach fängt das eigentliche Kinderhüten an.
    Auf dem Gehöft lebten Großvater, Großmutter und das junge Ehepaar, und meine Aufgabe war es, das Kind des jungen Paares zu hüten. Weil viele Bedienstete im Haus waren, trug sich eines Tages folgendes zu:
    2 Sen in Münzen, an einer gut sichtbaren Stelle ausgelegt, um meine Ehrlichkeit zu prüfen, sind angeblich verschwunden. Ich habe die nicht einmal gesehen, noch wußte ich damals überhaupt, wie man mit Geld umgeht. Trotzdem hieß es, ich hätte sie stibitzt, mir davon Süßigkeiten gekauft und genascht, und es setzte Schelte. Die Hände sollte ich falten und um Vergebung bitten.
    »Ich war's doch nicht«, stieß ich trotzig hervor, aber das machte es nur noch schlimmer.
    »Bis du es zugibst, bleibst du hier drin!«
    Ich wurde im Speicher eingesperrt und zwei Tage lang nicht rausgelassen. Im Speicher waren Säcke mit ungeschältem Reis gestapelt, in die ich einen Finger reinbohrte, Reiskörner rauspuhlte und kaute, aber weil ich zwei Tage lang keinen Tropfen Wasser zu trinken bekam, war mir sterbenselend zumute. Und trotzdem fiel mir nicht ein, mit lauter Stimme zu schreien:
    »Warum tut ihr mir so was an, wo ich doch das Geld nicht geklaut habe!«
    Statt dessen lebte ich nur voller Angst weiter, was immer man mir auch antat.
    Von heute aus gesehen, sind damals vielleicht wirklich 2 Sen weggekommen, aber weil der Verdacht, ohne jedes Indiz, nicht auf einen Erwachsenen fiel, nehme ich an, man hat mich wohl als warnendes Beispiel für die anderen Angestellten gequält.
    Im Sommer verfaulen auf den Feldern die Gurken, so viele, daß man sie gar nicht alle essen kann, und trotzdem bekam ich nicht genug Gemüse zu essen. Ich schleiche mich also ins Gurkenfeld und esse mich geduckt heimlich satt. Ich achte zwar gut darauf, von keinem gesehen zu werden, und doch kommt es irgendwie immer sofort heraus.
    »Du warst schon wieder im Gurkenfeld!«, und schon habe ich drei, vier Ohrfeigen weg.
    »Ich geh wirklich nicht wieder rein«, verspreche ich und bin auch fest entschlossen, nicht mehr reinzugehen, aber wenn der Hunger bohrt, schleiche ich mich wieder rein. Und wieder kommt's raus. Schließlich droht man mir:
    »Wenn du noch mal reingehst, wirst du in den Kuhstall gesperrt!«
    Vor dem Kuhstall habe ich Angst. Wenn man mitten in der Nacht in den Kuhstall gesteckt wird, schrecken die Kühe auf und trampeln wild herum, man wird getreten, gestoßen und muß Schlimmes ertragen. Die Augen der Kühe, die im Dunkeln leuchten, sind unheimlich, und bis heute habe ich eine Heidenangst vor Kühen.
    Ich bin also fest entschlossen, jetzt aber wirklich nie mehr ins Gurkenfeld zu gehen, doch am Ende bin ich trotz allem wieder drin. Wieder kommt's sofort raus. Aus Angst vor dem Kuhstall streite ich felsenfest ab, im Feld gewesen zu sein, sosehr man mir auch zusetzt.
    »So, du bist also nicht im Feld gewesen … Und das hier, was ist das?«
    Ich kriege die Windeln des Kindes vor die Nase gehalten, und endlich wird mir das Rätsel klar, warum es immer sofort rausgekommen ist. Wenn ich im Gurkenfeld geduckt esse, stopft sich das Baby alles, was seine Hände erreichen, in den Mund, und dann finden
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