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Die letzte Eskorte: Roman

Die letzte Eskorte: Roman

Titel: Die letzte Eskorte: Roman
Autoren: Sean Thomas Russell
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Mann in ein Narrenkostüm passt«, wisperte Hayden seinem Freund zu, »dann der dort.«
    Benvolio vollführte eine ehrerbietige Verbeugung. »Ha, guten Morgen, Vetter.«
    Auf diesen Gruß reagierte Romeo übertrieben überrascht und schaute sich um, als nehme er erst jetzt die Sonne wahr. »Erst so weit?«
    Benvolio: »Kaum schlug es neun.«
    Mit überzogenem Pathos führte Romeo die Hand an seine Stirn. »Weh mir! Gram dehnt die Zeit. War das mein Vater, der so eilig ging?«
    »Meine Güte«, flüsterte Elizabeth ihrem Mann zu, »ist da ein Schauspieler krank geworden, oder warum steht ein solcher Dilettant auf der Bühne?« Auch Haydens Aufmerksamkeit galt nun wieder dem Bühnengeschehen.
    Benvolio: »Er war’s. Und welcher Gram dehnt Euch die Stunden?«
    Linkisch reckte Romeo die Hände in die Höhe und ging einige Schritte in sichtlicher Erregung. »Welcher Gram dehnt den Romeo, könnte man fragen. Bin ich nicht hübsch anzusehen, ich, ein stadtbekannter Dandy, Ben?«
    Henrietta sprang beinahe erschrocken von ihrem Platz auf. »Was, um alles in der Welt ...? Das ist doch nicht Shakespeare!«
    »Und auch nicht Romeo«, sagte Hayden lachend. »Zumindest kaum der Romeo, den wir sehen wollten. Das ist Fowler Romeo Moat, da bin ich mir ziemlich sicher.«
    »Wer?«, flüsterte Henrietta.
    »Der Sohn eines Pflanzers, keineswegs arm«, erklärte Hayden. »Er hält sich für einen begnadeten Schauspieler und besticht Theatermanager, damit sie ihn in ihren Produktionen auftreten lassen. Romeo ist seine Lieblingsrolle. Dafür hat er sogar den Text umgeschrieben, damit die Zeilen besser zu ihm passen – Romeo ist nun eher ein Dandy, müssen Sie wissen.«
    »Und dafür haben wir bezahlt?«, meldete sich Robert empört zu Wort.
    Als sie ihre Aufmerksamkeit wieder der Bühne widmeten, sagte Romeo gerade: »Das ist der Liebe Unbill nun einmal. Schon eignes Leid will mir die Bru ...« Ob Moat nun seinen Text vergessen hatte oder sein vollkommen verwirrter Blick vorgetäuscht war, vermochte niemand zu sagen. »Leid!«, rief er, jedoch nicht wie unter Schmerzen, sondern eher im Tonfall eines Mannes, der nach seinem Hund ruft. »Währte es doch nur kurz. Doch Leid verursacht mir Groll. Sie, die schön vorüberschreitet und fast vorüber ist, jungfräulich in ihrer Keuschheit, hat gelobt, dass sie, wenn sie keinen Mann für würdig befindet, ohne Leidenschaft vergehen will, ehe sie einen Mann ehelicht – der keinen Sinn für Mode hat.«
    »Das ist Blasphemie!«, rief Henrietta beleidigt, und dennoch schien sie sich auch zu amüsieren. »Diesen Mann sollte man nicht ermuntern – den sollte man steinigen!«
    Und so nahm das Stück seinen Lauf. Die anderen Schauspieler, denen man keinen Vorwurf machen konnte, sahen einander stets verwundert und hilflos an, wann immer sich Romeo wieder übertrieben in Szene setzte, über die Bühne stolzierte und Zeilen deklamierte, die ohne Rücksicht auf die Texte der anderen abgeändert worden waren. Die Zuschauer unten in der Menge hingegen hätten gar nicht begeisterter sein können. Sie feuerten den Romeo-Darsteller an und klatschten Beifall, sobald er die Bühne betrat oder auch nur den Mund aufmachte. Moat aber war der Überzeugung, dass die Anfeuerungen und begeisterten Zurufe allein seinem Talent als Schauspieler galten.
    Szene für Szene verstrich, und bald hielten sich selbst die hohen Offiziere und vornehmen Theaterbesucher die Bäuche vor Lachen.
    Als Romeo dann im zweiten Akt unter Julias Balkon stand, verbarg Henrietta das Gesicht hinter ihren Händen. »Ich halte das nicht aus«, stöhnte sie, nahm die Hände dann aber doch fort.
    Anmutig trat Julia heraus ins Mondlicht.
    »Doch still«, rief Romeo, »was schimmert durch das Fenster dort? Es ist der Ost, und Julia die Sonne! Aber was trägt sie da um ihre Brust? Lumpen sind’s, abgeworfen von der Küchenmagd? Ein Gewand kann’s nicht sein ...«
    Aber die Julia-Darstellerin war offenbar entschlossen, die Szene zu retten und Moats törichtes Gefasel zu unterbinden. »Weh mir!«, erklang ihr kummervolles Klagen, das allerdings nur neues Lachen hervorrief. Deutlich sah man, dass die Schauspielerin selbst unter der Theaterschminke errötete.
    Romeo deutete auf seine Geliebte und wedelte mit seinen schlaff herabbaumelnden Ärmeln herum. »Sie spricht! O sprich noch einmal, holder Engel! Denn über meinem Haupt erscheinest du ...«
    Doch Moat wurde wieder unterbrochen. »O Romeo! Warum denn Romeo?«, rief Julia in verzweifeltem Pathos und
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