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Die letzte Delikatesse

Die letzte Delikatesse

Titel: Die letzte Delikatesse
Autoren: Muriel Barbery
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genug, daß ich jeden Tag, den der liebe Gott macht, den Dreck aufwische, der von ihren Nobelschuhen fällt, den Staub ihres noblen Ein- und Ausgehens sauge, daß ich mir ihre Nobelgespräche und ihre Nobelsorgen anhöre, daß ich ihre Wauwaus, ihre Miezen füttere, daß ich ihre Pflanzen gieße, daß ich ihrem Nachwuchs die Nase putze, daß ich ihr Weihnachtsgeld entgegennehme – und das ist auch der einzige Moment, wo sie nicht auf nobel machen –, daß ich ihre Parfums riechen muß, daß ich ihren Bekannten die Tür aufmache, daß ich ihre von den Bankauszügen ihrer Nobelkonten nur so strotzende Post verteile, mit ihren Nobelrenten, ihren Nobel-Konto-Überziehungen, daß ich mir Gewalt antue, um ihr Lächeln zu erwidern, daß ich schließlich in ihrem Nobelhaus wohne, ich, die Concierge, das Garnichts, das Ding hinter seiner Scheibe, das man mit verdächtiger Eile grüßt, um Ruhe zu haben, denn es ist peinlich, dieses alte Ding in seinem finsteren Verschlag hocken zu sehen, ohne Kristallüster, ohne Lackpumps, ohne Kamelhaarüberzieher, es ist peinlich, aber es ist zugleich beruhigend, wie eine Verkörperung des sozialen Unterschieds, die die Überlegenheit ihrer Klasse rechtfertigt, wie eine Vogelscheuche als Kontrastfigur, die ihre noble Freigebigkeit hervortreten läßt, wie ein Statist, der ihre Eleganz zur Geltung bringt –, nein, das alles ist ihnen noch nicht genug, denn nicht nur, daß ich Tag für Tag, Stunde für Stunde, Minute für Minute, vor allem aber, und das ist das Schlimmste, Jahr für Jahr diese Existenz als anstößige Klausnerin führe, zu alledem soll ich ihre Nobelsorgen auch noch verstehen?
    Wenn sie wissen wollen, wie es dem Mâââître geht, sollen sie gefälligst an seiner Tür klingeln.

Der Besitzer
Rue de Crenelle, Zimmer
     
     
    Soweit ich zurückdenken kann, habe ich immer gern gegessen. Ich könnte nicht mit Bestimmtheit sagen, welches meine ersten gastronomischen Ekstasen waren, aber die Person meiner ersten Lieblingsköchin, meine Großmutter, läßt diesbezüglich wenig Zweifel übrig. Auf dem Speisezettel der Festlichkeiten standen also Fleisch an Sauce, Kartoffeln in der Sauce und was es so braucht, um das Ganze aufzutunken. Ich wußte später nie, ob es meine Kindheitserinnerungen waren oder die Ragouts, die sich nicht wiederbeleben ließen, aber nie mehr habe ich etwas so gierig ausgekostet – ein Oxymoron, eine meiner Spezialitäten –, wie jene saucendurchtränkten Kartoffeln, köstliche kleine Schwämme, am Tisch meiner Großmutter. Liegt es etwa dort, jenes vergessene Gefühl, das sich in meiner Brust regt? Brauche ich Anna nur zu bitten, einige Knollen im Saft eines gutbürgerlichen Coq au vin marinieren zu lassen? Ach, ich weiß genau, daß dem nicht so ist. Ich weiß genau, daß der Geschmack, dem ich nachjage, sich meiner Wortgewalt, meinem Gedächtnis und meinem Denken immer entzogen hat. Sagenhafte Pots-au-feu, umwerfende Poulets nach Jägerart, überwältigende Coqs au vin, verblüffende Kalbsblanquettes, ihr seid sehr wohl die Gefährten meiner fleisch- und saucenbesessenen Kindheit. Ich halte euch in Ehren, liebenswerte Schmortöpfe mit dem Wildbretduft – aber nicht euch suche ich jetzt. Später haben sich meine Neigungen trotz dieser alten, nie verratenen Liebschaften anderen kulinarischen Gefilden zugewandt, und die Liebe zum Ragout wurde, mit dem zusätzlichen Genuß, den die Gewißheit des eigenen erlesenen Geschmacks verschafft, vom nachdrücklichen Appell der nüchternen Geschmacksnoten überlagert. Die zarte Liebkosung des ersten Sushi auf dem Gaumen hat für mich inzwischen jedes Geheimnis verloren; und ich lobe mir den Tag, an dem ich auf meiner Zunge die betörende und fast erotische Sämigkeit der Auster entdeckte, die auf ein Stückchen Brot mit gesalzener Butter folgt. Ich habe die wunderbare Delikatesse mit so viel Raffinesse und Brillanz aus ihrer Schale gelöst, daß der göttliche Bissen danach für jedermann einem religiösen Akt gleichkam. Zwischen diesen beiden Extremen, zwischen der warmen Fülle des Schmorbratens und der kristallinen Lauterkeit der Muschel, habe ich das ganze Spektrum der Kochkunst erkundet, als enzyklopädischer Ästhet, immer um ein Gericht voraus – aber immer um ein Herz im Rückstand.
     
    Ich höre Paul und Anna im Flur leise sprechen. Ich öffne einen Spaltbreit die Augen. Mein Blick fällt wie üblich auf die perfekten Wölbungen einer Skulptur von Fanjol, ein Geschenk Annas zu meinem sechzigsten
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