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Die Leiche im rosa Nachthemd

Die Leiche im rosa Nachthemd

Titel: Die Leiche im rosa Nachthemd
Autoren: A. A. Fair
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noch immer auf der
Schwelle. Über ihre Schulter erspähte ich ein heruntergeklapptes Wandbett mit
zerwühlter Decke.
    In ihrem Gesicht kämpften
Zweifel, Feindseligkeit und Gier. »Ich will nur den Scheck«, sagte sie.
    Sie war blond — auch am
Haaransatz. Sie trug ein zerknautschtes rosafarbenes Nachthemd und einen hastig
über die Schulter geworfenen Morgenrock, den sie mit der linken Hand vorn
zusammenhielt. Der Handrücken war alt und runzlig. Mit Make-up, konnte ich mir
vorstellen, würde sie gut und gern als Twen durchgehen. Von ihrer Figur sah ich
nicht viel, aber ihre Haltung war straff und elastisch.
    »Also meinetwegen«, sagte sie
endlich. »Kommen Sie herein.«
    Ich gehorchte. Es roch nach
Schlaf. Sie schüttelte die Kissen auf und hockte sich auf die Bettkante.
»Drüben steht ein Sessel. Ich muß ihn immer wegschieben, wenn ich das Bett
runterklappe. Was wollen Sie also?«
    »Ein paar Einzelheiten über
Ihre Schadensmeldung.«
    »Die haben Sie doch schon. Ich
hätte zweihundert Dollar fordern sollen, dann hätten Sie mir die fünfundsiebzig
gegeben, die der Schaden tatsächlich ausmacht. Wenn Sie feilschen wollen, sind
Sie bei mir an der falschen Adresse. Und vor drei Uhr nachmittags brauchen Sie
überhaupt nicht mehr herzukommen.«
    »Es tut mir wirklich leid«,
sagte ich.
    Am Kopfende des Bettes stand
ein Tischchen mit Zigaretten und einem Aschenbecher. Sie griff sich eine
Zigarette und inhalierte tief. »Schießen Sie schon los.«
    Ich nahm mir eine meiner
eigenen Zigaretten. »Ich denke, ich könnte den Anspruch für Sie durchbringen,
wenn Sie noch ein oder zwei Punkte klären.«
    »Hört sich schon besser an.
Worum handelt es sich? Der Koffer ist unten im Keller, falls Sie ihn sich
ansehen wollen. Die eine Ecke ist völlig eingedrückt. Die Splitter haben meine
Strümpfe und eins meiner Kleider total ruiniert.«
    »Haben Sie die Strümpfe und das
Kleid noch?«
    Sie sah an mir vorbei. »Nein.«
    »Nach unseren Unterlagen haben
Sie sich in Oakview als Evaline Dell ausgegeben.«
    Sie nahm die Zigarette aus dem
Mund und starrte mich empört an. »Sie dreckiger Schnüffler! Kein Wunder, daß
Sie ein blaues Auge haben. Was, zum Teufel, geht es Sie an, als was ich mich
ausgegeben habe? Die Bahn hat meinen Koffer kaputtgemacht — oder etwa nicht?«
    »Bei Regulierungen dieser Art
braucht die Bahn eine gültige Verzichterklärung.«
    »Meinetwegen, die können Sie
haben. Ich unterschreibe als Evaline Dell, wenn Sie wollen. Ich heiße Evaline
Dell Harris. Wenn’s Ihnen Spaß macht, unterschreibe ich auch als Katharina die
Große.«
    »Sie wohnen hier unter dem
Namen Harris?«
    »Natürlich. Evaline Dell war
mein Mädchenname. Harris war der Name meines Mannes.«
    »Wenn Sie verheiratet sind, muß
Ihr Mann auch unterschreiben.«
    »Daß ich nicht lache. Ich hab’
Bill Harris seit drei Jahren nicht gesehen.«
    »Geschieden?«
    Sie zögerte einen Augenblick.
Dann nickte sie.
    »Es ist so«, erläuterte ich,
»die Verzichterklärung muß von dem Eigentümer des Gegenstandes unterschrieben
werden, für den Schadensersatz geleistet wird, sonst ist die Bahn nach wie vor
haftbar.«
    »Sie wollen mir doch nicht
erzählen, daß mir mein eigener Koffer nicht gehört?«
    »Nein — aber es handelt sich um
die Namensdiskrepanz. Die Bahn besteht darauf, daß diese Diskrepanz erklärt
wird.«
    »Na, Ihre Erklärung haben Sie
ja jetzt.«
    »Der Leiter der
Schadensabteilung ist sehr eigen, Mrs. Harris. Er...«
    »Miss Harris!« verbesserte sie.
    »Also, wie gesagt, Miss Harris,
der Leiter der Schadensabteilung ist ein pingeliger Bürokrat. Er hat mich
beauftragt festzustellen, weshalb Sie als Evaline Dell und nicht als Evaline
Harris nach Oakview gefahren sind.«
    Sie war sichtlich
eingeschnappt. »Bestellen Sie Ihrem Schadensfritzen einen schönen Gruß. Er soll
mir mal im Mondschein begegnen.«
    Ich dachte an den gierigen
Ausdruck ihrer Augen, als sie vorhin auf der Schwelle gestanden hatte, und
stand auf. »Werde ich gern ausrichten. Entschuldigen Sie bitte die Störung. Ich
wußte nicht, daß Sie nachts arbeiten.« Damit ging ich zur Tür.
    Ich hatte schon die Klinke in
der Hand. »Augenblick«, sagte sie hastig. »Kommen Sie — setzen Sie sich
wieder.«
    Ich streifte die Asche von
meiner Zigarette und ging zum Sessel.
    »Sie haben doch gesagt, Sie würden
versuchen, die Sache für mich durchzubringen.«
    »Sehr richtig.«
    »Sie arbeiten doch für die Bahn
— oder?«
    »Wir wollen endlich den Fall
abschließen.
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