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Die Legende

Die Legende

Titel: Die Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Marthens
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Dorf. Fast jeder der Partybesucher hatte irgendwelche Blessuren davongetragen oder besaß jemanden im engsten Familienkreis, der durch die Panik am Ende des Festes verletzt worden war. Es gab nach Roberts Deportation keinen Arzt mehr im Ort, und so versuchte jeder, sich selbst zu verarzten oder bat Miriam, die Verkäuferin im Bäckerladen, die Wunden zu versorgen. Durch ihre Bulimie hatte sie sich länger als jeder andere im Krankenhaus aufgehalten und dadurch einiges aufgeschnappt, das sie jetzt anwenden konnte. Am schlimmsten litt jedoch meine Mutter. Sie war zwar äußerlich unversehrt geblieben, doch sie machte sich unendliche Sorgen um Isabelle. Sie ließ sogar den Wodka unangetastet, um einen klaren Kopf zu behalten. Jedenfalls bis gegen zwei Uhr morgens, als sie mich endlich ins Bett schickte. Ich hatte die ganze Zeit bei ihr gesessen, sie getröstet und versucht, ihr Mut zuzusprechen. Doch als ich ihr einredete, dass Isabelle schon bald gesund und munter wieder aus der Villa der Geißenbergers nach Hause spazieren würde, glaubte ich selbst nicht so richtig daran. Ich konnte diesen merkwürdigen Philipp von Bismarck nicht einschätzen. Wenn die Legende mit dem Dämon in der Mullendorfer Erde stimmte und er ihn tatsächlich erwecken wollte, dann war er kreuzgefährlich. Das bereitete mir – ehrlich gesagt – am meisten Sorgen, obwohl ich nicht wusste, was so ein frisch aufgewachter Dämon wirklich anrichten konnte. Dafür müsste ich den Worten meines plötzlich aufgetauchten Vaters Glauben schenken, der behauptet hatte, der Dämon würde seinem Befreier Macht über die Lebenden und die Toten schenken, also auch über Vampire. Und wenn es stimmte, dass dieser Fürst der mächtigste Mann auf dem Erdball werden und die Grabflüchter aus ihrem Untergrunddasein befreien wollte, dann passte das schon irgendwie zusammen. Und es bedeutete auch, dass das Leben meiner Schwester nur ein Wimpernschlag im Universum seiner gigantischen Pläne war.
    Ich lag die ganze Nacht wach und dachte über den Abend nach, sogar Pedro bezog ich mit ein, der nun Vergangenheit war. Hätte ich ihn geheiratet, wäre ich jetzt Witwe. Bei dem Gedanken schauderte es mich.
    Kurz nach Sonnenaufgang stand ich schließlich auf und ging zu meiner Mutter, die doch noch Trost bei ihrem Freund, dem Alkohol, gefunden hatte und friedlich auf dem Sofa schnarchte.
    Nach dem Frühstück fuhr ich sofort zur Tankstelle, um den Laden zu öffnen und Leif von den Ereignissen auf der Party zu berichten.
    Leif hörte mir schweigend zu, er verzog keine Miene, aber das bedeutete nichts. Als ich zu Ende war, sah ich ihn an und fragte ihn, was er von allem hielt.
    »Du solltest so schnell wie möglich von hier verschwinden«, antwortete er. »Wenn ich du wäre und mich in der Öffentlichkeit zeigen dürfte, würde ich meine Koffer packen und so weit wie möglich abhauen. In die Anden, oder vielleicht nach Neuseeland. Hier zu bleiben grenzt an Selbstmord.«
    Diese Worte gefielen mir gar nicht. »Wieso? Wer ist der Kerl? Kennst du ihn näher?«
    »Ich habe von ihm gehört. Tepes, der Pfähler. Er hat in der Vergangenheit wahre Blutbäder angerichtet, Menschen und Vampire gehäutet und gepfählt, Männer bei lebendigem Leibe gekocht und dann gegessen. Vor allem in Vampirkreisen war er gefürchtet, weil er uns erbarmungslos jagte und dann so grausam wie möglich tötete. Seine liebste Methode war es, im Winter, wenn wir uns schlecht bewegen konnten, zu fesseln und langsam zu pfählen, manchmal auf dem Kopf stehend bis der Pflock durch das eigene Körpergewicht das Herz erreichte und derjenige starb. Das konnte Stunden dauern. Ich war nie dabei, zum Glück, sonst würde ich hier nicht sitzen, aber mir wurde davon berichtet. Er war das Schreckgespenst meiner vampirischen Jugend, die mittlerweile einige Jahrhunderte zurückliegt. Und nun ist er hier. Wie das Schicksal manchmal so spielt.«
    Fast klang so etwas wie Bewunderung in seiner Stimme. »Dann ist er kein Mensch?«
    »Nein. Aber er ist auch keiner von uns. Ich weiß nicht genau, was er wirklich ist, aber es heißt, er sei ein Wiedergänger. Er besitzt keinen eigenen Körper, sondern lebt in einem menschlichen Wirt, bis dessen Körper zu alt wird und stirbt, dann sucht er sich einen neuen. Deshalb konnte ihn auch niemand eindeutig beschreiben, und es war fast unmöglich, ihn zu fassen und zu töten. Als mir das letzte Mal von ihm erzählt wurde, hieß es, er sähe aus wie Stalin. Aber selbst das ist schon ein paar

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