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Die Kugel und das Opium

Die Kugel und das Opium

Titel: Die Kugel und das Opium
Autoren: Liao Yiwu
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Starken wie die weniger Starken, unter dieser »Gefängniskrankheit«, über die sich so schwer reden lässt. Öffentliche Zusammenkünfte werden von der Regierung unterdrückt, da kann man den Kopf nicht heben; und im Privaten fehlt uns, was die meisten Männer auf der Welt einfach haben, und da lässt man den Kopf noch mehr hängen. Ich habe am meisten Glück gehabt, ich habe jemanden getroffen, sie ist in etwa in meinem Alter, sie hat auch den 4 . Juni-Komplex. Wir haben uns erst getroffen, gelesen, sind spazieren gegangen, und erst als wir ganz innig miteinander waren, haben wir uns umarmt und geküsst. Und wenn ich zu früh kam, fand sie nichts dabei. Als wir über die Nacht zum 4 . Juni geredet haben, waren wir zwischen Trauer und Wut hin und her gerissen, wir waren uns sehr einig über das Ganze. Sie lag auf dem Bett und sagte, das klappt schon, du hast die Angst vor dem Tod überwunden, was soll da nicht klappen? Und so hat es dann geklappt, ich habe es gar nicht recht mitbekommen, bis wir beide zum Höhepunkt kamen. Als ich in ihr drin war, hat sie mich weiter gelobt: Das ist toll, Wuzi! Wuzi, das ist wundervoll! Ich bedankte mich, und die Tränen brachen aus mir heraus. Sofort war die Welt ganz weit. Das war die Freiheit! Die Freiheit und die Gesundheit, die einem die Kommunistische Partei nicht nehmen kann!

7
    Wu Wenjian, voller Leben und Energie, hat viele blutgetränkte Ölbilder auf die Leinwand gebracht. Sein Hauptmotiv ist die Erinnerung an den 4 . Juni. Außerdem hat er eine ganze Reihe von Blogs aufgemacht, die den »Rowdys« von ehedem eine Stimme geben und in der virtuellen Welt ein gewisses Echo finden. Doch gleichzeitig besteht die tieferliegende Misere weiter.
     
    Mein Knastbruder Xu Wanping, früher Arbeiter in einer Druckerei, sprühte vor Entrüstung, hielt auf den Straßen von Chongqing öffentliche Reden und schrie den Leuten zu: »Die Opfer vom 4 . Juni sind unsterblich!« Nach seiner Verhaftung ist er wegen »Aufwiegelung« zu acht Jahren verurteilt worden; er hatte die Strafe kaum abgesessen und war wieder draußen, als er wieder verdächtigt wurde, eine »Demokratische Partei Chinas« zu organisieren, und drei Jahre in ein Umerziehungslager kam. Nachdem er eine Nacht und einen Tag lang Fäkalien herumgeschleppt hatte und der Druck zu groß wurde, machte sein Herz nicht mehr mit. Er bat um eine Pause. Aber da zog der Wärter aus heiterem Himmel zwei Stahlseile heraus, band ihn fest und ließ ihn auf einem schwankenden Bett aus Seilen baumeln, wobei er ihn immer wieder fragte: »Na, gut geschlafen? Liegen der Herr bequem?«
    Im Winter 2004 wurde Xu noch einmal, diesmal wegen »Umstürzlerischer Umtriebe«, verurteilt, diesmal zu zwölf Jahren. Am Abend vor seinem Haftantritt wollte er mich in Chengdu besuchen, wurde aber am Bahnhof, von wo aus er mich angerufen hatte, festgenommen. Ich habe die ganze Nacht bitter auf ihn gewartet, aber kein Ton von ihm. Erst eine Woche später erfuhr ich aus dem Internet, dass sie ihn zurück nach Chongqing geschafft und ihn auf einen Eisenstuhl gefesselt hatten, wo er sich 48  Stunden nicht rühren konnte. Die Polizisten haben ihm eine Packung »Schnee« untergeschoben, um ihn als Drogenhändler ins Jenseits befördern zu können.
    Xu Wanping ist noch keine fünfzig, aber er ist bereits dreimal verurteilt worden, zu insgesamt 23  Jahren.
     
    Liu Xianbin, ein weiteres Opfer des 4 . Juni, ist erst 46 , auch er ist bisher dreimal zu insgesamt 22  Jahren verurteilt worden, weil er nicht aufhört, die historische Wahrheit zu erzählen.
    She Wanbao, 53 , im Knast mein Zellennachbar, hat zweimal gesessen, insgesamt 16  Jahre.
    Pu Yong, ein weiterer Zellennachbar, saß zehn Jahre wegen »Aufwiegelung«, und seine Gesundheit wurde derart ruiniert, dass er kurz nach Abbüßung seiner Strafe und seiner Entlassung an Krebs starb. Er wurde 35  Jahre alt. Als er im Sterben lag, habe ich ihm folgende vorzeitige Grabrede geschrieben:
    »[…] Ich weiß, du hast ständig schlimme Schmerzen, Schmerzen, die sich in dein Herz, in deine Knochen bohren, ich weiß, später wird auch das Dolantin deine Schmerzen nicht mehr lindern können. Ich bete zu Gott, dass er dich erlöst, weg von dieser rechtlosen Welt. Im Himmel ist es toll, die Hölle ist auch nicht schlecht, alles immer noch besser als hier. Geh nur, Bruder, ich werde an dich denken, wie ich an meinen Vater denke, der den gleichen Krebs hatte. Ich habe mir damals die Tränen verbissen, habe meinen Namen
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