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Die Koenigin der Schattenstadt

Die Koenigin der Schattenstadt

Titel: Die Koenigin der Schattenstadt
Autoren: Christoph Marzi
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alte Frau schon von Bestimmung? Das, was er tief in seinem Herz spürte, war viel mehr, war etwas, das ihn immer antreiben würde. So lange, bis er Catalina wiedergefunden hatte.
    Gerade wollte er erneut einen Versuch machen, Nuria zu überzeugen, als die Nacht ganz plötzlich voller schwarzer Federn war, die wie kleine leblose Leiber vom Boden aufgewirbelt wurden und hinauf in die Wolkengebilde schwebten.
    Nuria Niebla blieb stehen, mitten auf einem weiten Platz verharrte sie, als sei sie vollkommen erstarrt, und blickte mit Tränen in den Augen zum Himmel empor. Kreidebleich wurde das faltige Gesicht, das vormals noch so beherrscht gewirkt hatte, und die Nebelhexe stöhnte laut auf.
    »Das ist Malfuria«, keuchte die alte Frau, und als sie das sagte, sah sie noch älter aus, als sie es ohnehin sein musste.
    Jordi hatte diesen Namen bereits schon einmal gehört. Die junge Zigeunerin, in deren Begleitung Catalina gewesen war, hatte ihn genannt.
    Ein pechschwarzer Wirbelsturm, der wohl eines der vielen seltsamen Fluggeräte gewesen war, die man überall in der Stadt antraf, war über dem Castelo de Sao Jorge in einer Wolke aus Rabenfedern explodiert und kurz darauf war die Luft erfüllt gewesen vom Kreischen vieler Raben und Katzen.
    Jetzt wurden erneut Rabenfedern aufgewirbelt.
    »Was hat das zu bedeuten?«
    Nuria Niebla sah den Jungen an, als wäre wirklich soeben die Welt untergegangen, und sagte ganz leise: »Alles, junger Jordi, alles.« Und die alten Augen konnten den Blick gar nicht von dem lösen, was sie da sahen. »Manches, das tot ist«, flüsterte sie mit brüchiger Stimme, »sollte auch tot bleiben. Das ist der Lauf der Dinge.«
    Jordi trat einen Schritt auf sie zu und berührte vorsichtig ihren Arm. »Geht es Ihnen gut?«
    »Nein, tut es nicht! Wie kannst du so etwas Törichtes fragen?« Nuria Niebla schüttelte wütend und gleichsam verzweifelt den Kopf, wirkte durcheinander. »Eigentlich weiß ich nicht einmal, ob es mir gut geht, das ist das Schlimme daran.« Sie rieb sich die Augen. »Es sind seltsame Zeiten angebrochen, musst du wissen.« Sie senkte ihre Stimme zu einem Wispern: »Die Mephistia hat ihr Gesicht gezeigt, das ist es gewesen. Sie hat ihr Gesicht gezeigt und Malfuria getötet. Und jetzt . . .« Nuria sah zum Himmel hinauf. »Jetzt kann alles anders werden.«
    Jordi Marí horchte auf.
    Mephistia.
    Das klang wie etwas, vor dem man sich fürchten musste. Etwas, das einem schlechte Träume brachte.
    »Ich muss Catalina finden, jetzt schneller denn je!«, sagte Nuria Niebla mit einem Mal und der Ausdruck von schriller Panik und stillem Schrecken war wie fortgefegt. »Sie ist der Schlüssel zu allem, was noch kommt.« Sie starrte zu Boden und dann flüsterte sie kaum merklich: »Ich hoffe nur, dass nicht sie das getan hat.«
    Jordi hob erneut den Blick. »Ich weiß, was sie tun kann«, sagte er zur Nebelhexe.
    »Dann verstehst du meine Besorgnis?«
    Er nickte. »War es böse?«
    »Was?«
    Er deutete zum Himmel. »Dieser Sturm, dieses Malfuria.«
    Nuria Niebla streckte die Hand aus. Eine Rabenfeder segelte durch die Nachtluft, rasch gewann sie an Höhe und war auch schon bald im Himmel mitsamt seinen widernatürlichen Wolkengebilden verschwunden.
    Eine weitere Feder, die am Boden lag, wehte ebenfalls in die Nacht hinauf. Schnell griff Nuria Niebla danach. »Malfuria«, murmelte sie, »ist das Herz der Hexenheit gewesen. All unser Wissen hat dort gelebt. Und Agata la Gataza, die Katzenhexe, hat es gehütet, so ist es seit alten Zeiten gewesen.«
    Jordi wusste, dass dies nicht die Antwort auf die Frage war, die er ihr gestellt hatte.
    »Wir müssen los, die Zeit drängt!« Noch immer hielt sie die Rabenfeder in der Hand als eine Erinnerung, die loszulassen ihr nicht gelingen wollte. »Wir werden zu Fado gehen. Das ist es, was wir jetzt tun müssen.« Sie eilte voraus, ohne sich darum zu kümmern, ob Jordi ihr folgen würde oder nicht.
    Zielsicher schritt sie voran und die Rabenfedern, die noch in der Luft schwebten, stoben auseinander, sobald sie zwischen ihnen hindurchging. Schon bald hatte Nuria den Platz überquert, doch noch immer zögerte Jordi, der alten Frau zu folgen.
    Abermals fühlte er, wie Trotz in ihm aufstieg. Was bildete sie sich ein, ihn wie ein lästiges Anhängsel bei irgendeiner Hexe absetzen zu wollen? Warum erklärte sie ihm nicht, was wirklich vorging, statt nur geheimnisvolle Andeutungen zu machen?
    Genauso gut konnte er die Gelegenheit nutzen und sich aus dem Staub machen.
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