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Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)

Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)

Titel: Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
Autoren: Michael Peinkofer
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wolkig, und der Wald ist heute dunkelgrau.«
    »Du weißt, was ich meine«, zischte Dag. »Jedenfalls fällt es dir leicht, rote Beeren von blauen zu trennen.«
    »Und dir sollte es inzwischen auch leichtfallen. Die blauen sind etwas größer und weicher, die roten hingegen …«
    »Ich weiß, ich weiß.«
    »Es ist wichtig, dass du sie unterscheiden lernst. Nur die blauen sind essbar – verschluckst du eine von den roten …«
    »Ja doch!«, herrschte Dag ihn an.
    Der andere verstummte.
    Lange Augenblicke verstrichen.
    Augenblicke, in denen Dag hören konnte, wie sein Begleiter zwischen den Farnblättern herumkroch – und in denen sich fast ebenso plötzlich, wie ihn der Zorn überkommen hatte, ein schlechtes Gewissen einstellte.
    »Es tut mir leid«, sagte er nach einer Weile.
    »Natürlich«, kam es gleichgültig zurück.
    »Es tut mir wirklich leid«, betonte Dag. »Du hast nicht verdient, dass ich dich so behandle.«
    »Nein«, sagte der andere und richtete sich auf, »das habe ich nicht. Schließlich hätte ich dich nicht bei mir aufnehmen müssen, als du damals vor meiner Höhle lagst, hungrig und zerschunden und blind wie ein Maulwurf.«
    Dag musste lächeln. »Blind bin ich immer noch, Tiff.«
    »Und hungrig auch, wenn du nicht damit aufhörst, unser Abendessen wegzuschmeißen«, gab der Einsiedler mit einem hörbaren Grinsen zurück. »Lass uns zur Höhle zurückkehren, es wird bald regnen.«
    »Einverstanden.« Dag erhob sich von dem Felsen, auf dem er gehockt hatte, und streckte eine Hand aus. Schon im nächsten Moment fühlte er den festen Griff des eigenwilligen Freundes, den er sich der Stimme nach anfangs als kleinwüchsigen, leicht untersetzten Burschen vorgestellt hatte – in Wahrheit war Tiffor, der als Einsiedler in den östlichen Wäldern lebte, ein Koloss von einem Mann, dessen gutwilliges, bisweilen kindhaftes Gemüt jedoch in krassem Widerspruch zu seiner Erscheinung stand. So viel zur Wirklichkeit, die man angeblich mit dem Herzen zu sehen vermochte.
    Der Weg zurück zur Höhle war ein Irrweg, so wie immer, ein Marsch voller Gefahren und Stolperfallen für jemanden, der nicht in der Lage war, seine Umgebung zu sehen. Zwar setzte Dag alles daran, seine verbliebenen Sinne zu schärfen, doch inmitten des schier undurchdringlichen Waldes wollte es ihm nicht recht gelingen. Zu verwirrend waren die Geräusche, die bald von dieser, bald von jener Seite drangen, zu vielfältig die Gerüche, die nach würzigen Pilzen, bald nach süßem Honig und dann wieder nach Verwesung schmeckten. Und dennoch hätte Dag an keinem anderen Ort sein wollen als hier, inmitten des dunklen Waldes, in den er sich verkrochen hatte wie ein verletztes Tier, um seine Wunden zu lecken und zu vergessen – aber es gelang ihm nicht.
    Fast zehn Monde waren seit jenem Tag vergangen, an dem er die Welt zum letzten Mal gesehen hatte.
    Zehn Monde …
    An sich eine lange Zeit. Aber nicht, wenn die Wunde noch immer schwärte, wenn die Erinnerung an die Vergangenheit in jeder Nacht wieder auflebte, in grässlichen Albträumen, die Dag bis in den Wachzustand verfolgten, und bisweilen darüber hinaus.
    Vergeblich hatte er versucht, die Vergangenheit zu überwinden, denn Schwärze war alles, was er sah, seit die Truhe geöffnet worden war und er den verderblichen Inhalt erblickt hatte. Fortwährend hatte er diesen grässlichen Moment in seinen Gedanken, während er sich mit Vorwürfen marterte und sich immerzu fragte, ob er es hätte verhindern können.
    Nein, sagte er sich dann.
    Es war unausweichlich gewesen.
    Und dennoch fand der mit Blindheit geschlagene Krüppel, zu dem er nach seiner Ansicht geworden war, vor ihm keine Gnade.
    Dag war erleichtert, als sie endlich den Höhleneingang erreichten. Er spürte es, weil der Boden unter seinen Füßen fester wurde und die Bäume hier weniger dicht standen, sodass die Dunkelheit um ihn herum ein wenig nachließ. Außerdem vernahm er das Rauschen der Quelle, die ganz in der Nähe entsprang. Es war das Erste gewesen, das er nach seinem Erwachen wahrgenommen hatte, kurz bevor Tiffor ihn gefunden und in seine Höhle mitgenommen hatte.
    Doch an diesem Nachmittag war etwas anders.
    Dag nahm es deutlich wahr, der Verachtung seiner verbliebenen Sinne zum Trotz. Obwohl er nichts sehen konnte, war ihm klar, dass sich etwas verändert hatte, und noch ehe er sich fragen konnte, woher diese Empfindung stammte, hörte er, wie Tiffor neben ihm scharf nach Luft sog.
    »Wer bist du?«
    »Habt keine
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