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Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)

Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)

Titel: Die Klaviatur des Todes: Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner klärt auf (German Edition)
Autoren: Michael Tsokos
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Ferber aufgrund der erdrückenden Beweise auch dann wegen Vergewaltigung verurteilt worden, wenn er diesen Teil seines Gewaltverbrechens weiter geleugnet hätte. Aber dazu sollte es nicht kommen.
    Während der U-Haft wird er von dem psychiatrischen Sachverständigen Dr. Lorenz Höller eingehend begutachtet. Im Verlauf eines insgesamt fast achtstündigen Gesprächs, das sich über vier Tage erstreckt, öffnet sich der junge Mann seinem Gegenüber und erlaubt ihm tiefe Einblicke in seine Psyche, seine Vergangenheit und die Motive für seine Tat.
    Bis zu seinem vierten Lebensjahr wuchs Kevin bei beiden Elternteilen auf. Sein alkoholabhängiger Vater misshandelte die Mutter und Kevins zwei kleinere Brüder. Schließlich trennte sich die Mutter von ihm und fand einen neuen Ehemann. Kevins Verhältnis zu seinem Stiefvater war zunächst konfliktfrei, doch als Kevin in die Schule kam, zeigte sich, dass er erhebliche Lernprobleme hatte. Schon die dritte Klasse musste er wiederholen. Ab der fünften Klasse besuchte er eine Schule für Lernbehinderte, die er ohne Abschluss nach der neunten Klasse verließ.
    Für den Stiefvater war Kevins schulisches Versagen eine tiefe Enttäuschung. Dabei hatte er selbst nur den Hauptschulabschluss vorzuweisen. Nachdem die Familie aus der brandenburgischen Provinz in die Hauptstadt gezogen war, arbeitete der Stiefvater bei einer Security-Firma.
    Seitdem Kevin in der dritten Klasse sitzengeblieben war, wurde er von seinem Stiefvater regelmäßig verprügelt. Auch für Versäumnisse und Vergehen, die seine jüngeren Brüder verschuldet hatten, wurde er geschlagen. Mehr und mehr fühlte er sich als Außenseiter, dem niemand etwas Gutes wollte, und schottete sich entsprechend ab. Nie sprach er mit irgendjemandem über seine Gefühle, auch mit seiner Mutter nicht. In der Familie herrschte eine Atmosphäre feindseliger Kälte. Überhaupt wurde dort wenig geredet, und wenn doch einmal, dann zog einer über den anderen her.
    In Kevin staute sich mit den Jahren ein immer größerer Hass auf seinen Stiefvater an. Er stellte sich vor, ihn zu erschießen. Aber er musste seine Fantasien sorgfältig verbergen, denn der Stiefvater war viel stärker als er. So lernte er, seine aggressiven Impulse zu kontrollieren und vor seiner Außenwelt zu verstecken. Er reagierte sie ab, indem er stundenlang Ballerspiele wie Call of Duty spielte.
    Nachdem er die Lernbehindertenschule verlassen hatte, arbeitete er als Einpacker in der Konservenfabrik, in der seine Mutter damals beschäftigt war. Nach nur zwei Monaten wurde er fristlos entlassen: Kollegen hatten ihm vorgeworfen, er habe sie bestohlen. Darauf hatte es Kevin allerdings angelegt, da ihm der Job nicht passte. Doch als sein Stiefvater erfuhr, dass Kevin gestohlen haben sollte, verprügelte er ihn brutaler als jemals vorher.
    Kevin lief davon. Wochenlang lebte er auf der Straße. Ein Streetworker brachte den 17-Jährigen für einige Monate in einer Kriseneinrichtung für obdachlose Jugendliche unter. Sobald er volljährig war, bezog er eine eigene Zweizimmerwohnung, die vom Sozialamt finanziert wurde. Dort lebte er mit einem Mädchen zusammen, das er in dem Jugendheim kennengelernt hatte.
    Zoe Poltau war zwei Jahre älter als er. Sie arbeitete in einer Putzkolonne, während Kevin zu Hause blieb und den größten Teil des Tages mit Computerspielen verbrachte. Nur ab und zu ging er nachts aus dem Haus, um seine Kasse durch Einbrüche aufzubessern. Dabei machte er sich die Kenntnisse zunutze, die er früher gesammelt hatte, als er seinen Stiefvater bei dessen Security-Kontrollgängen begleitet hatte.
    Als Zoe von seinen Einbrüchen erfuhr, drohte sie zum ersten Mal, ihn zu verlassen. Kevin zuckte mit den Schultern und verzog sich zu seinen Computerspielen. Nicht lange, nachdem Zoe von ihm schwanger geworden war, kam es endgültig zum Bruch. Mit einem Dieb, der sich überdies nicht für ihre Schwangerschaft interessiere, wolle und könne sie nicht zusammenleben. »Dann geh doch«, sagte Kevin.
    Die finanzielle Unterstützung, die er vom Sozialamt bekam, steckte er in Junk-Food und neue Ballerspiele. Als er dreimal nacheinander die Miete schuldig blieb, wurde er vor die Tür gesetzt und musste wieder zu seiner Familie ziehen. Die Räume im Erdgeschoss, die seine Mutter und der Stiefvater ihm zur Verfügung stellten, sind nach herkömmlichem Maßstab nicht als Wohnung nutzbar, wie die Kriminalbeamten nach der Hausdurchsuchung notierten. Es gab keine Heizung und in zwei
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