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Die Kinder von Erin (German Edition)

Die Kinder von Erin (German Edition)

Titel: Die Kinder von Erin (German Edition)
Autoren: Helmut W. Pesch
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Schnelligkeit zu geben in der Lage waren.
    Ihre Verfolger schienen ein wenig den Anschluss verloren zu haben, was wohl auch daran lag, dass Hagen den schnurgeraden Kurs auf die Mauer zu verlassen hatte und stattdessen Haken schlagend durch den Park rannte. Dabei nutzte er jede sich bietende Lücke.
    Aber obwohl die Meute die Spur verloren zu haben schien, blieb es still. Nichts war zu hören außer den keuchenden Atemzügen der beiden. Die Jäger schienen sich auf andere Art zu verständigen als durch Zurufe. Aber es waren ja auch Wesen der Anderswelt, und welche Möglichkeiten denen offen standen, darüber wollte Gunhild gar nicht erst nachdenken.
    Sie hielt sich immer dicht hinter Hagen, und ihre Sportleidenschaft machte sich nun bezahlt. Sie verlor nicht den Anschluss, und sie war keineswegs ein Hindernis ihrer Flucht, wie es so oft in alten Filmen zuging, wenn den Frauen die Kraft ausging, damit der heldenhafte Beschützer sie in einem letzten verzweifelten Kampf retten konnte.
    Im Gegenteil. Gunhild bemerkte, als sie über eine kleine Lichtung liefen und der Schein des Mondes auf sie fiel, dass Hagens Schritte schwerer wurden. Hoffentlich hielt er durch. Er war eben kein Sportler wie Siggi – und ein Stich durchfuhr sie, als sie an ihren Bruder und dessen Schicksal dachte.
    Dann spürte sie plötzlich einen scharfen Schmerz, der von ihrer rechten Fußsohle ausging, und ihr wurde bewusst, dass sie auch eine Schwachstelle besaß. Sie hatte keine Schuhe an. Sie brauchte nur in irgendetwas Spitziges zu treten, und aus wäre es mit der Flucht.
    Besser, nicht daran zu denken. Besser, den Atem zu sparen, als sich mit Diskussionen aufzuhalten. Sie mochten zwar einen guten Vorsprung haben, aber das hieß noch nicht, dass sie ihre Feinde abgeschüttelt hatten.
    Endlich tauchte zwischen den Bäumen der dunkle Schatten der Mauer auf. Hagen beschleunigte noch einmal seine Schritte, aber dann blieb er so abrupt stehen, dass Gunhild ihn fast im Laufen umgerissen hätte.
    Auf der Mauerkrone, schwarz gegen den sternenklaren Sommerhimmel und von Mondlicht hell umrissen, wartete ein halbes Dutzend der Kreaturen.
    Gehetzt blickte sich Hagen um.
    »Komm!«, keuchte er. »Es gibt noch mehr als einen Weg aus dieser Falle!« Dann rannte er in Richtung der Rückseite von Dunvegan Castle davon.
    Gunhild kam gar nicht auf den Gedanken, Hagens Worte in Zweifel zu ziehen. Wenn sie es getan hätte, würde das die Aufgabe bedeuten. Und tief in ihrem Innern wusste sie, das würde das Ende sein.
    Sie warf einen Blick zurück und sah, wie die Jäger von der Mauerkrone sprangen und sich auf ihre Spur setzten. Jetzt saßen ihnen die Verfolger wieder im Nacken.
    Wie viele mochten es sein? Zwanzig, dreißig oder mehr? Und was, zum Teufel, wollten die Bestien?
    Wieder fiel ihr jene schicksalsträchtige Nacht vor einem Jahr ein, als sie von dunklen Gestalten gehetzt durch den Wald gestolpert waren. Auch damals schien die Zahl ihrer Gegner Legion zu sein. Aber immer wieder hatten sie sich dem Zugriff der Verfolger entwinden können, bis – ja, bis die Rettung von außen gekommen war. Rettung in Gestalt eines geheimnisvollen Fremden, von Vögeln, die ihnen den Weg wiesen, von einer schützenden Höhle, die sie aufnahm. Doch hier gab es keine Macht der Anderswelt, die ihnen Beistand leistete. Harfner, rief sie in Gedanken aus, wo bist du? Warum hilfst du uns nicht? Doch das Lied der Harfe war verstummt – oder hörte sie es nur nicht, weil ihr eigenes Blut so laut in ihren Ohren pochte?
    Hagen unternahm alles, um den Vorsprung zu vergrößern. Jeden Winkel des Parks kannte der Junge, wie er seinen deutschen Freunden erzählt hatte. Hier hatte er oft – meist allein – die Ferien verbracht. Nun kam dies Gunhild und ihm zugute.
    Im hinteren Teil, auf den Dunmor Hill zu, war der Park wilder, das Gesträuch nicht so exakt gestutzt. Das war keine Nachlässigkeit, sondern Absicht. Wenn man so wollte, sollte hier eine gezähmte Wildnis entstehen, malerisch und schroff im Gegensatz zu den sanft geschwungenen Linien des vorderen Gartens. Auf der einen Seite nützte die Unregelmäßigkeit des Geländes ihrer Flucht, weil sich hier mehr Deckung bot. Aber man konnte einen von der Seite oder von vorn herannahenden Gegner auch schwerer erkennen, und der Weg war voller Hindernisse. Hier und da peitschten Gunhild Zweige schmerzhaft gegen die Beine und ins Gesicht, so sehr Hagen auch bemüht war, dies zu vermeiden; aber sie waren in viel zu großer Eile, um sich
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