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Die Kinder von Erin (German Edition)

Die Kinder von Erin (German Edition)

Titel: Die Kinder von Erin (German Edition)
Autoren: Helmut W. Pesch
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hoch. Um den Fuß des Bettes band er das eine Ende seines improvisierten Seils. Den Rest warf er hinaus.
    »Komm!«, forderte er Gunhild auf. Die stand immer noch wie gelähmt. Da brach mit einem lauten Krachen ein metallener Dorn durch das Holz der Tür und verkantete sich darin. Gunhild wartete nicht mehr, bis das erste Brett sich löste. Sie stürzte auf das Fenster zu.
    Gelobt sei, was hart macht, dachte sie. Zum Glück war sie eine geübte Sportlerin. Sie packte das Betttuch, zog kurz daran und machte sich in der Manier eines Bergsteigers daran, sich abzuseilen. Fest drückte sie ihre nackten Füße gegen die Hauswand und ließ sich Schritt für Schritt hinunter. Am Ende des improvisierten Seils angekommen, stieß sie sich von der Wand ab und sprang.
    Der Sprung ins Ungewisse war nicht allzu tief, aber als sie doch etwas überraschend den Boden berührte, rollte sie sich geschickt über die linke Schulter ab und kam auf dem Rasen jenseits der Blumenbeete wieder auf die Füße. Glücklicherweise befanden sich die Rosen auf der anderen Seite des Hauses.
    Hagen folgte ihr und landete auf beiden Füßen in den Nelken seiner Tante. Er packte Gunhild bei der Hand und rannte zur Auffahrt hinüber, um zur Straße und von dort ins nächste Dorf zu gelangen.
    Im Laufen warf er einen Blick zurück, aber aus dem Zwielicht ragte nur die gezackte Silhouette des Schlosses auf, und nichts deutete auf das Schicksal der anderen im Haus hin.
    »Rennen wir«, flüsterte Hagen, und gleich darauf liefen die beiden über den Rasen auf die asphaltierte Auffahrt zu.
    »Da!«, entfuhr es Gunhild, als sie schon die schützenden Büsche und Sträucher vor sich sahen, welche die Auffahrt zu beiden Seiten begrenzten.
    Aus der unvollkommenen Dunkelheit schälten sich ungeschlachte, seltsam verkrümmte Gestalten. Sie waren in einem Halbkreis ausgefächert und kamen gezielt auf Hagen und Gunhild zu.
    Hagen kam sich vor wie ein Fisch, der im Begriff war, direkt in ein Netz hineinzuschwimmen; denn der Halbkreis bildete so etwas wie einen Trichter, in dem sie sich fangen sollten.
    Er griff nach Gunhilds Hand. Das Mädchen war klug genug, sich einfach mitziehen zu lassen; denn Hagen kannte das Gelände besser als sie, und jedes Wort wäre überflüssig. Sie würden ihren Atem zum Rennen brauchen.
    Hagen zog sie quer über den Rasen auf den Park zu. Gunhild folgte ihm blind. Was blieb ihr auch anderes übrig? Alles kam ihr vor, als hätte sie es schon mal erlebt. Es war wie vor einem Jahr, als sie vor dem dunklen Volk durch den Wald geflohen waren und Odin, der einäugige Göttervater der Asen, sie gefunden und in die Höhlen der Anderswelt geführt hatte.
    Es blieb ihnen nichts, als weiter zu fliehen. Gunhild zwang sich förmlich, nicht an ihren Bruder und sein mögliches Schicksal zu denken. Im Augenblick ging es erst mal darum, die eigene Haut zu retten.
    Sie hatten den Park erreicht, und aus den Schatten der Bäume, die diesen Teil des Gartens begrenzten, konnte man im fahlen Mondlicht weitere der seltsamen Gestalten sehen, welche sich von der Rückseite des Hauses her näherten. Das alles geschah in absoluter Stille, und das steigerte noch den Schrecken, den diese Kreaturen der Anderswelt verbreiteten.
    Hagen rannte geradeaus weiter. Gunhild wusste, dass am Ende des Parks eine nicht ganz zwei Meter hohe Mauer war, aber die konnten sie überwinden. Von dem, was hinter der Mauer lag, hatte Gunhild nur eine vage Vorstellung. Dunvegan Castle war ein einsam stehendes Landhaus, und der nächste Ort dürfte etwa vier oder fünf Kilometer entfernt sein, aber wie man da querfeldein hingelangen konnte, das wusste Gunhild nicht.
    Der Park war im Stil eines englischen Landschaftsgartens angelegt, und der Baumbestand war so alt wie das Herrenhaus. Für die Fliehenden war dies eher ein Nachteil, mussten sie doch im unsicheren Zwielicht des Mondes den Bäumen ausweichen. Zugleich erschwerten die Stämme es ihnen, ihre Gegner zu erkennen, die sie vor sich her trieben.
    Es war eine Treibjagd. Der Vergleich war absolut passend. Und Hagen und Gunhild waren das Wild, welches von den einäugigen Kreaturen gehetzt wurde.
    Da erschien wieder eine Dreiergruppe. Sie kam vom Hügel her und folgte ihnen mit einer Leichtigkeit, dass Gunhild schon fürchtete, die Flucht wäre umsonst. Fast wäre sie stehen geblieben und hätte sich in ihr Schicksal ergeben, aber Hagen zog sie einfach weiter.
    Plötzlich stoppte Hagen in seinem Lauf. Vor ihnen erstreckte sich ein
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