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Die Kinder von Erin (German Edition)

Die Kinder von Erin (German Edition)

Titel: Die Kinder von Erin (German Edition)
Autoren: Helmut W. Pesch
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erinnern.«
    Das ganze Volk jubelte, und alle hoben ihre Becher, Trinkhörner, Schalen und anderen Gefäße und tranken ihnen zu.
    Die beiden sahen sich an. Ihre Freude war nun vollkommen, das heißt, bis auf einen einzigen Tropfen der Bitterkeit. Jeder las den Gedanken in den Augen des anderen.
    Ach, wenn nur Siggi hier wäre, um das zu sehen!



Epilog
    Siggi erwachte.
    Es war kein plötzliches, sondern ein ganz allmähliches Erwachen, wie es einen manchmal überkommt, wenn man besonders tief und fest geschlafen hat. Es ist dann schwer zu sagen, ab welchem Punkt man wirklich wach ist und nicht mehr schläft, vor allem mit geschlossenen Augen. Und dabei, in diesem Zustand zwischen Schlafen und Wachen, packt einen manchmal eine Angst, dass man sich nicht traut, sich überhaupt zu bewegen. Denn es könnte ja sein, dass man es versucht – und nichts geschieht. Weil man nämlich tot ist.
    Wäre da nicht jene merkwürdige Melodie gewesen, Siggi hätte sicher noch lange so gelegen.
    Er schlug die Augen auf. Er lag auf seinem großen Bett und blickte hinauf zu der getäfelten Zimmerdecke von Dunvegan Castle. Licht drang von draußen herein. Mondlicht.
    Mondlicht? Dieses seltsame, flirrende Licht, das wie das Licht eines Scheinwerfers durch das Fenster stach, fast als suche es nach ihm.
    Siggi schwang die Beine aus dem Bett und schlüpfte in seine Jeans. Er nahm sich gerade noch Zeit, das FC-Liverpool-T-Shirt, in dem er geschlafen hatte, in die Hose zu stopfen und sich die Schuhe zuzubinden, dann war er auch schon aus dem Zimmer.
    Draußen auf dem Gang schienen ihm die Ahnen des Hauses spöttisch nachzublicken, aber er achtete gar nicht darauf. Statt die Treppenstufen hinunter in die Halle zu poltern, nahm er gleich das Treppengeländer; das war leiser und ging zudem schneller. Die Hintertür, die zum Garten führte, war nicht abgeschlossen. Der Garten lag in einem unnatürlichen Licht, das von jenseits der Mauer kam.
    Siggi hatte keine Ahnung, was ihn so zur Eile trieb, aber er wusste, dass er keine Zeit hatte, das Tor zu suchen. Ohne Rücksicht auf Verluste rannte er auf die Mauer los und sprang hinauf. Mit einem Klimmzug war er oben, schwang ein Bein über die Kante und ließ sich auf der anderen Seite hinunterfallen. Er teilte die Büsche, und dann sah er es.
    Der Dunmor Hill lag im Dunkel, doch das Licht, das aus seinem Inneren kam, erstrahlte hell und rein. Etwas bewegte sich darin, zum Klang jener fast unhörbaren Melodie. Fasziniert trat er näher heran. Jetzt konnte er die Gestalten erkennen: Männer und Frauen, hochgewachsen, kraftvoll und anmutig, bewegten sich dort im Tanz. Sie trugen lange, altertümliche Gewänder, schimmernd in den Farben des Regenbogens. Niemand von den Feiernden schien ihn zu sehen oder gar zu beachten.
    Niemand bis auf ein Paar.
    Sie wandten sich um. Ein Mann und eine Frau. Sie in Gold gekleidet, er in Rot. Ihre Blicke trafen sich, und Siggi erkannte, wer es war.
    »Gunhild! Hagen!«
    »Siggi!«
    Sie rannten auf ihn zu, mit ausgestreckten Armen, und in diesem Augenblick fiel es ihm alles wieder ein, alles, was geschehen war.
    »Siggi! Du lebst?!«
    Hagen zögerte nur einen einzigen Moment. Dann packte er Siggi und umarmte ihn wie einen tot geglaubten Freund – und das war er in gewisser Weise ja auch. Gunhild kam hinzu und schloss sie beide in ihre Arme ein. So standen sie eine Weile, reglos, eng umschlungen, von Gefühlen überwältigt, für die es keine Worte gab.
    Der dunkle Mann in den Büschen, der sie aus schwarzen, ausdruckslosen Augen beobachtete, sah zu, wie die schimmernden Gewänder vergingen und darunter wieder die alte, irdische Kleidung zum Vorschein kam, die sie getragen hatten, ehe das große Abenteuer begann. Er sah, wie der Kristall aufblitzte, den das Mädchen an einer schmucklosen Kette um den Hals trug, und wandte sich ab.
    Auch wenn sein Plan fehlgeschlagen war, so konnte er warten. Er hatte Zeit, viele Leben lang. Und so suchte er sich seinen Weg zwischen den Büschen, zurück in die Dunkelheit, während hinter ihm das Licht aus dem hohlen Hügel verblasste und das Lied der Harfe verklang.
    ENDE

Namen und Begriffe
    Die altirischen Namen wurden in der Schreibweise vereinfacht, damit man beim Lesen nicht darüber stolpert. Wie sie früher ausgesprochen wurden, weiß keiner ganz genau; daher kann es jeder damit halten, wie er möchte. Wer wissen will, wie die späteren Kelten sie aussprachen, findet eine ungefähre Entsprechung in eckigen Klammern. Betonte Silben
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