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Die Kinder der Nibelungen (German Edition)

Die Kinder der Nibelungen (German Edition)

Titel: Die Kinder der Nibelungen (German Edition)
Autoren: Helmut W. Pesch
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Tonfall nur zu gut. Wenn seine Schwester so sprach, hatte er keine Möglichkeit mehr, sie vom Gegenteil zu überzeugen. Alle Blicke richteten sich auf ihn, und er wollte nicht kneifen. Nein, er durfte nicht kneifen. Er musste mitmachen, egal, ob ihm die Sache gefiel oder nicht. Das hier war die Nagelprobe für ihre Freundschaft und wenn er da nicht mitmachte, war alles kaputt, was sich in den letzten Stunden zu entwickeln begonnen hatte.
    »Also gut«, sagte auch er. »Probieren wir’s.«
    Damit war die Sache abgemacht. Siggi und Gunhild gingen an die Winde und warteten darauf, dass Hagen auf den Sims kletterte. Die Geschwister sahen sich an. Gunhild grinste. Sie liebte das Spiel mit dem Risiko. Das Mädchen erkannte die Zweifel im Blick ihres Bruders; sie wusste genau, dass er normalerweise zu vorsichtig war, um bei solchen Mutproben mitzumachen.
    Wahrscheinlich war das blitzende Ding irgendein wertloser Kram wie der Ring einer Cola-Dose oder was immer irgendwelche versprengten Touristen in den Brunnen geworfen hatten. Aber der Spaß an solchen Abenteuern lag Gunhild im Blut, und oft hatten ihre Eltern – halb im Scherz, halb im Ernst – sich gefragt, wer denn nun der Junge in der Familie war, Siggi oder Gunhild.
    »Wird schon schief gehen«, sagte sie aufmunternd zu ihrem Bruder.
    Hagen war sehr schnell auf dem Sims. Er lugte in die Hefe.
    »So«, begann Hagen, »jetzt kommt der schwierige Teil. Haltet die Winde gut fest; stemmt euch richtig dagegen. Ich stelle mich in die Schlinge. Ihr müsst mich halten. Und dann ganz vorsichtig das Seil lockerlassen.«
    »Gut«, sagte Gunhild. »Auf drei geht’s los!«
    »A one … «, zählte Hagen.
    Gunhild und Siggi griffen nach der Winde. Das Holz war gut zu packen und überhaupt nicht rau. Sie würden sie bei der ganzen Aktion zumindest keine Splitter in die Hände reißen und Hagen gefährden, weil sie durch den Schmerz die Winde losließen.
    Eine Gefahr weniger, schoss es Siggi durch den Kopf.
    »… a two …«, sagte der Junge aus England völlig ruhig.
    Die beiden Geschwister spannten die Muskeln an, stemmten ihre Fersen in der Erde und packten fester zu. Jetzt wurde es spannend. Hagen atmete noch mal tief durch; auch ihm schien die Sache nicht ganz geheuer zu sein, und für einen Moment überkam Siggi die wilde Hoffnung, ihr neuer Freund würde aufgeben. Aber er wurde enttäuscht.
    »… a three«, zählte Hagen, und sein rechter Fuß trat in die Schlinge. Das Seil pendelte hin und her.
    Gunhild und Siggi mussten sich mit aller Macht gegen die Winde stemmen, die den Gesetzen der Physik folgen und sich mit Macht drehen wollte, um das Gewicht am Ende des Seils in die Tiefe rauschen zu lassen.
    »Wir haben dich«, presste Gunhild hervor. Hagen war, obwohl älter, einen halben Kopf kleiner als Siggi und wohl auch ein wenig leichter, aber irgendwie schien jedes Pfund, das er auf die Waage brachte, doppelt schwer zu wiegen. Siggi keuchte, aber er und seine Schwester hatten alles unter Kontrolle. Bis jetzt.
    Das Seil war zur Ruhe gekommen und Hagen hing nun völlig ruhig über der Mitte des Schachts. Er sah in die Tiefe.
    »Jetzt ganz langsam das Seil abrollen«, sagte er, den Blick immer noch nach unten gewandt. »Langsam, sehr langsam.«
    Die Winde knirschte; sie war vielleicht mal gut geölt gewesen, aber durch das fehlende Dach war die Schmiere längst verdunstet oder vom Regen ausgewaschen worden. So hatten es die Geschwister beim Abrollen leichter, doch Hagens Gewicht zog arg an ihnen. Stück um Stück ließen sie das Seil nach, bis Hagen völlig im Brunnenschacht verschwunden war.
    »Hier unten stinkt’s!«, hallte seine Stimme aus der Tiefe. »Weiter!«
    Danach schwieg er, und Siggi und Gunhild kamen mächtig ins Schwitzen, aber sie ließen das Seil weiter gleichmäßig nach.
    »Halt!«, brüllte Hagen plötzlich. Gunhild und Siggi stoppten die Winde und erhielten so einen ersten Vorgeschmack darauf, wie es sein würde, wenn sie ihren Freund wieder rausziehen mussten.
    »Ich hab’s gefunden! Holt mich wieder rauf!«, kam die Anweisung von unten.
    Siggi und Gunhild sahen sich an. Die Stimme klang so völlig anders als vorher. Musste der Hall sein.
    Mit vereinten Kräften kurbelten sie das Seil Zentimeter für Zentimeter wieder nach oben. Siggi schmerzten die Muskeln im Oberarm. Auch Gunhild, die weit sportlicher war als er, spürte die Anstrengung. Ihr Atem ging stoßweise.
    Irgendwann, Siggi glaubte, es seien Stunden vergangen, tauchte Hagens schwarzer Schopf
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