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Die Kaufmannstochter von Lübeck

Die Kaufmannstochter von Lübeck

Titel: Die Kaufmannstochter von Lübeck
Autoren: Conny Walden
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Nur das Gold, das jemand im Herzen hatte, war wichtig, denn all die anderen Reichtümer, die man in seinem Leben ansammelte, konnte man weder mit in die andere Welt nehmen, noch halfen sie einem, wenn man wirklich in höchster Seelennot war. Zu dieser festen Überzeugung war Johanna während der Zeit gekommen, als sie als kleines Mädchen mit dem Pestdämon gerungen hatte. Einem Dämon, der ihre Mutter dahingerafft, ihren Vater und ihre Schwester jedoch gar nicht erst angegriffen hatte. Warum das so war, das wusste nur Gott allein. Es hatte keinen Sinn, solche Dinge zu hinterfragen – und ebenso wenig hatte es Sinn, sich gegen die Schläge des Schicksals mit Reichtum, Macht, guter Herkunft, einer standesgemäßen Heirat oder anderem diesseitigen Schein wappnen zu wollen.
    Grete hatte aus jenen dunklen Tagen, in denen sie in einem Pesthaus gelebt hatten, offenbar ganz andere Schlussfolgerungen für sich und ihr Leben gezogen.
    »Für die Gesundheit«, sagte Grete, während sie sich noch eine Fingerspitze Marzipan nahm und die Augen schloss, um sich diesem Genuss für ein paar Augenblicke vollkommen hinzugeben.
    »Marzipan soll ja tatsächlich gegen alle möglichen Leiden helfen«, meinte Wolfgang Prebendonk. »Von unerfülltem Kinderwunsch bis zur Behebung von Verdauungsproblemen.«
    »Bestimmt sind das nur Behauptungen der Apotheker«, glaubte hingegen Johanna. »Sie wollen Gründe dafür schaffen, dass man das Marzipan nur bei ihnen kauft.«
    »Das nenne ich ein gut begründetes Handelsmonopol«, meinte Wolfgang, aber ein Teil seiner Aufmerksamkeit galt nach wie vor Grete. Er sah ihr zu, wie sie ihr Marzipan genoss, und als sie ihre Augen wieder öffnete, trafen sich die Blicke der beiden.
    Tatsächlich verkaufte auch Moritz von Dören sein Marzipan nicht direkt an interessierte Kunden. Bruder Emmerhart, ein Alchemist und Mönch, der in Lübeck eine Apotheke betrieb, die für sich in Anspruch nahm, dass noch niemand an den dort gemischten Arzneien gestorben oder ernstlich erkrankt war, fungierte offiziell als Zwischenhändler.
    Auch wenn Moritz den Anteil, der an Bruder Emmerhart ging, natürlich am liebsten selbst eingestrichen hätte, wäre es doch äußerst unklug gewesen, die Apotheker Lübecks gegen sich aufzubringen. Und zudem arbeitete das Haus von Dören ja auch beim Verkauf von Zucker mit Bruder Emmerhart zusammen – und der ging in unvergleichlich größeren Mengen über den Tresen seiner Apotheke als das viel kostbarere Marzipan.
    »Man sollte diese Köstlichkeit selbst verkaufen und veredeln«, wiederholte Wolfgang Prebendonk einen Vorschlag, von dem er eigentlich im Voraus wusste, dass der traditionsbewusste und den Regeln einer ehrbaren Kaufmannschaft zutiefst verhaftete Moritz niemals darauf eingehen würde. Wolfgang lächelte, und sein Blick streifte dabei abermals Grete auf eine Weise, die diese erröten ließ. »Ganze Schiffsladungen voller Köstlichkeiten, angeboten an jeder Straßenecke! Ihr würdet nicht nur an ein paar Reichen verdienen, werter Herr Moritz, sondern auch an all den anderen, denn es gibt Speisen, denen man beim besten Willen nicht zu widerstehen vermag. Und wenn man einen letzten Taler in der Tasche hat, dann wird man selbst ihn noch opfern, nur um dieses köstlichen Geschmacks teilhaftig zu werden.«
    »Wenn Schiffsladungen davon lieferbar wären, dann wären sie auch nicht mehr wert als Stockfisch«, erwiderte Moritz, dem die Blicke zwischen Wolfgang und Grete offenbar völlig entgingen. »Nur die Knappheit macht aus einem Gut etwas Wertvolles. Wenn wir Gold auf der Straße fänden und jedermann Gold hätte, dann schenkte niemand ihm Beachtung.« Moritz verschloss nun wieder den Krug – gerade noch rechtzeitig, bevor Grete ein weiteres Mal hineingreifen konnte. »Und im Übrigen ist etwas, was in einer Apotheke verkauft wird, weil es einige wundersame Eigenschaften hat und der Verabreichung durch heilkundige Personen bedarf, die über den fulminanten Geschmack weit hinausgehen, wertvoller als irgendeine Mixtur, die jeder Küchenmeister und jede Hausfrau selbst herzustellen vermag.« Moritz schüttelte langsam und sehr nachdenklich wirkend den Kopf. »Nein, wir müssen alles tun, um den Preis unserer Waren hoch zu halten. Nur dann ist der Gewinn groß genug, um die erheblichen Aufwendungen zu rechtfertigen, die lange Transportwege bedeuten.«

Z weites K apitel

    Gespräch unter Schwestern
    Der Hausherr, seine beiden Töchter und sein Prokurist waren noch im Buchzimmer
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