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Die Kaufmannstochter von Lübeck

Die Kaufmannstochter von Lübeck

Titel: Die Kaufmannstochter von Lübeck
Autoren: Conny Walden
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mehr ausgereicht hatte. Doch ein verheerendes Feuer war schuld daran, dass davon nichts mehr erhalten war und der Bau zügiger vorangetrieben werden musste, wobei man immer darauf geachtet hatte, dass trotz aller Bautätigkeit die Feier der Heiligen Messe möglich blieb.
    Johanna schmerzten die Knie. Schon viel zu lange verharrte sie in ihrer wenig komfortablen Haltung, völlig auf ihr Gebet konzentriert, sodass sie zeitweilig das Gefühl für ihren Körper vollkommen verloren hatte. Die schwach gewordene Herbstsonne schien durch die vierundzwanzig Fenster des Oberchores. Vierundzwanzig Könige waren in diesen Fenstern dargestellt – allesamt bärtig: die vierundzwanzig Ältesten der Apokalypse. Darüber hinaus gab es zwölf weitere Fenster, in denen ebenfalls Könige dargestellt waren – allesamt ohne Bart.
    Das waren die zwölf Könige von Juda, die als Vorgänger Jesu galten.
    Sie alle gemahnten an die Endlichkeit von Macht, Reichtum und allen irdischen Dingen. Ja, sogar an die Endlichkeit der Zeit selbst.
    Seit zwei Wochen weilte Johanna nun schon in Köln und unterstützte ihren Vater nach Kräften in schriftlichen Dingen. Und davon fiel während der Beratungen des Hansetages reichlich an. Immer wieder mussten Briefe an einzelne Gesandte verfasst und mit Formulierungsvorschlägen für die schließlich zu treffenden Abmachungen unter den höchst ungleichen Teilnehmern aufgesetzt werden. Es hatte sich schon deutlich gezeigt, dass die Interessen ganz verschieden waren. Für Lübeck, Stralsund, Danzig und den Deutschen Orden war die Expansion des dänischen Königs eine akute, lebensbedrohliche Gefahr, Bremen, Hamburg, die westlichen Hansestädte waren weit weniger davon betroffen. Aber Bürgermeister Brun Warendorp hatte unter den lübischen Gesandten die Devise ausgegeben, dass die Koalition gegen Waldemar möglichst breit sein und man unbedingt auch Münster und die niederländischen Städte zur Unterstützung gewinnen musste.
    Es waren die vielen kleinen Zusammenkünfte am Rande der großen Verhandlungen, die schließlich die Standpunkte einander annäherten.
    Noch waren gar nicht alle Delegierten des Hansetages eingetroffen. Allein dies zog sich über Wochen hin, denn die Anfahrtswege waren sehr unterschiedlich beschwerlich. Unter jenen, die bislang noch nicht nach Köln gefunden hatten, war auch Pieter van Brugsma der Jüngere, der hier in Köln mit Grete von Dören vermählt werden sollte. Auch um die Vorbereitungen dieses Festes hatte Johanna sich mit zu kümmern. Da auf dem Hansetag ohnehin viele Mitglieder beider Familien anwesend sein würden, bot sich hier eine einmalige und günstige Gelegenheit für ein solches Fest.
    Trotz aller Geschäftigkeit ließ es sich Johanna jedoch nicht nehmen, mindestens einmal am Tag in den Dom zu gehen, um zu beten. Manchmal suchte sie auch eine der kleineren Kapellen und Kirchen der Stadt auf, aber der Dom war ihr am liebsten.
    Die Glocke schlug, schreckte sie aus ihren Gedanken hoch und machte ihr bewusst, wie spät es war. Es fand heute noch eine große Vollversammlung der Städtevertreter im großen Saal des Rathauses zu Köln statt, und ihr Vater hatte sie gebeten, unbedingt dabei zu sein, um mitzuschreiben, was gesagt und beschlossen wurde. Es war wichtig, dass neben den offiziell bestellten Schreibern jede Seite auch ihre eigenen Protokolle anfertigte.
    So erhob sie sich und machte nur ein paar Schritte, als ihr ein Schatten auffiel. Im nächsten Moment prallte sie gegen etwas Hartes, Metallisches. Ein Harnisch, erkannte sie sofort. Dicht vor ihr stand ein Mann in den Kleidern eines Edelmanns. Harnisch, Wams, Mantel, hohe Stiefel, ein Schwert an der Seite, dessen Lederscheide kunstvoll verziert war. Zwei blaue Augen sahen sie an. Der Bart war der eines Mannes, der einige Zeit auf Reisen gewesen war und keine Gelegenheit gehabt hatte, ihn zu scheren. Das Haar war blond und dicht, die Augenbrauen so hell, dass man sie wohl kaum gesehen hätte, wäre sein Gesicht nicht von der Sonne gebräunt gewesen.
    »Entschuldigt …«, murmelte sie.
    »Es gibt nichts zu entschuldigen, da nichts geschehen ist«, sagte der Mann. Sein Niederdeutsch hatte einen eigenartigen Akzent, wie Johanna ihn bereits hin und wieder gehört hatte, wenn Gäste aus Dänemark oder Schweden im Haus ihres Vaters zu Besuch gewesen waren.
    Der Mann lächelte auf eine Weise, die Johanna unwillkürlich erröten ließ. »Ich hoffe, Euch ist nichts passiert«, sagte er und schlug mit der Faust gegen
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