Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Kammer

Titel: Die Kammer
Autoren: John Grisham
Vom Netzwerk:
nickte, als wäre ohnehin nichts anderes zu erwarten gewesen. »Und der Gouverneur hat die Begnadigung abgelehnt.«
    Sam versuchte, tapfer die Schultern zu heben, hatte aber nicht die Kraft dazu. Er sackte noch mehr zusammen.
    »Der Herr sei uns gnädig«, sagte Ralph Griffin.
    »Dann ist also alles vorbei«, sagte Sam.
    »Es ist nichts mehr übrig«, flüsterte Adam.
    Von dem Hinrichtungsteam, das sich am Ende des Abschnitts versammelt hatte, war aufgeregtes Gemurmel zu hören. Die Sache würde also doch über die Bühne gehen. Irgendwo hinter ihnen, in Richtung der Kammer, schlug eine Tür zu, und Sams Knie schlotterten gegeneinander.
    Er schwieg einen Moment - eine Minute oder fünfzehn, Adam wußte es nicht. Immer noch raste die Zeit oder blieb einfach stehen.
    »Ich glaube, wir sollten jetzt beten, Reverend«, sagte Sam.
    »Ja, das glaube ich auch. Wir haben lange genug gewartet.«
    »Wie wollen Sie es anstellen?«
    »Also, Sam, um was genau wollen Sie beten?«
    Sam dachte einen Moment nach, dann sagte er: »Ich möchte sicher sein, daß Gott nicht zornig ist auf mich, wenn ich sterbe.«
    »Gute Idee. Und weshalb glauben Sie, daß Gott auf Sie zornig sein könnte?«
    »Das liegt doch wohl auf der Hand, oder etwa nicht?«
    Ralph rieb seine Hände gegeneinander. »Ich denke, am besten wäre es, wenn Sie ihre Sünden beichten und Gott bitten, Ihnen zu verzeihen.«
    »Alle?«
    »Sie brauchen sie nicht einzeln aufzuzählen, bitten Sie Gott einfach, Ihnen alle Sünden zu vergeben.«
    »Eine Art Generalpardon?«
    »Ja, so könnte man es nennen. Und es wird funktionieren, wenn es Ihnen ernst damit ist.«
    »Es ist mir todernst damit.«
    »Glauben Sie an die Hölle, Sam?«
    »Das tue ich.«
    »Glauben Sie an den Himmel, Sam?«
    »Das tue ich.«
    »Glauben Sie, daß alle Christen in den Himmel kommen?«
    Sam dachte eine ganze Weile darüber nach, dann nickte er leicht, bevor er fragte: »Glauben Sie das?«
    »Ja, Sam. Das tue ich.«
    »Dann verlasse ich mich auf Ihr Wort.«
    »Gut. Sie können mir vertrauen.«
    »Wissen Sie, es kommt mir entschieden zu einfach vor. Ich spreche nur ein rasches Gebet, und alles ist vergeben.«
    »Weshalb beunruhigt Sie das?«
    »Weil ich ein paar schlimme Dinge getan habe.«
    »Wir alle haben schlimme Dinge getan. Unser Gott ist ein Gott der grenzenlosen Liebe.«
    »Sie haben nicht getan, was ich getan habe.«
    »Würden Sie sich besser fühlen, wenn Sie darüber sprechen?«
    »Ja. Irgendwie ist mir, als käme erst alles in Ordnung, wenn ich darüber gesprochen habe.«
    »Ich bin hier, Sam.«
    »Soll ich für eine Minute gehen?« fragte Adam. Sam drückte die Knie zusammen. »Nein.«
    »Wir haben nicht mehr viel Zeit«, sagte Ralph mit einem Blick durch die Gitterstäbe.
    Sam holte tief Luft und sprach dann mit leiser, monotoner Stimme, so daß nur Adam und Ralph ihn hören konnten. »Ich habe Joe Lincoln kaltblütig erschossen. Ich habe schon gesagt, daß es mir leid tut.«
    Ralph murmelte etwas vor sich hin, während er zuhörte. Er war bereits in ein Gebet versunken.
    »Und ich habe meinen Brüdern geholfen, die beiden Männer umzubringen, die unseren Vater ermordet hatten. Deswegen habe ich nie ein schlechtes Gewissen gehabt, bis jetzt. Aber in diesen Tagen kommen mir Menschenleben wesentlich kostbarer vor. Es war ein Unrecht. Und ich war an einem Lynchmord beteiligt, als ich fünfzehn oder sechzehn war. Ich war nur einer von vielen, und ich hätte ihn wahrscheinlich nicht verhindern können, wenn ich es versucht hätte. Aber ich habe es nicht versucht, und deshalb fühle ich mich schuldig.«
    Sam hielt inne. Adam hielt den Atem an und hoffte, daß die Beichte nun beendet war. Ralph wartete und wartete und sagte schließlich: »War es das, Sam?«
    »Nein. Da ist noch was.«
    Adam schloß die Augen und wappnete sich. Ihm war schlecht, und er hätte sich am liebsten übergeben.
    »Da war noch ein Lynchmord. Ein Junge, der Cletus hieß. Seinen Nachnamen weiß ich nicht mehr. Ein Lynchmord des Klans. Ich war achtzehn. Mehr kann ich dazu nicht sagen.«
    Dieser Alptraum wird nie enden, dachte Adam.
    Sam atmete schwer und schwieg mehrere Minuten lang. Ralph betete inbrünstig. Adam wartete nur.
    »Und ich habe diese Kramer-Jungen nicht umgebracht«, sagte Sam mit bebender Stimme. »Ich hatte dort nichts zu suchen, und es war unrecht, daß ich mich an dieser Sache beteiligt habe. Ich habe es viele Jahre lang bedauert, alles, was passiert ist. Es war unrecht, dem Klan anzugehören, alle und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher