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Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen
Autoren: Sándor Márai
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Besohlen gebe, weil sie diesem armen, kranken Menschen helfen wollte. Ich bekam bei euch eine Schale Kaffee, von Bélas Vater Brot und Käse, und Ábels alte Jungfer steckte mir, wenn ich wegging, Eingemachtes zu. Euch hat keiner Eingemachtes zugesteckt, wenn ihr irgendwo zu Besuch wart. Soll ich weiterreden? Tausend Tage waren es, und an jedem Tag tausend Minuten, in denen ihr mir mit irgend etwas einen Tritt versetzt habt. Nein, ihr könnt gar nichts dafür. Nie kann jemand etwas dafür. Ihr wart das Taktgefühl und die Güte selbst.«
    Er spuckt aus. »Ich habe dein Taktgefühl gehaßt, Tibor. Habe deine Güte gehaßt. Habe dich gehaßt, wenn du ein Messer oder eine Gabel in die Hand genommen und wenn du jemanden artig gegrüßt hast. Wenn du gelächelt und dich für etwas, für einen Gegenstand oder eine Auskunft, bedankt hast. Deine Gesten habe ich gehaßt, wie du dich bewegst, deine Art zu schauen, wie du aufgestanden bist oder dich hingesetzt hast. Es stimmt nicht, daß man das lernen kann. Ich mußte erfahren, daß es nicht aufzuholen ist, nicht durch Geld und Macht, nicht mit Kraft und Wissen. Ich habe gelernt, daß ich hundert Jahre leben, daß ich Millionär werden kann, und wenn ihr längst in eurer Gruft verfault seid –denn ihr liegt auch als Tote in einem herrschaftlichen Gehäuse, nicht wie wir Hunde schon zu Lebzeiten im Kellerloch –, auch dann noch werde ich unglücklich sein, weil mir einfällt, wie Tibor Prockauer, wenn er im Vorbeigehen jemanden angestoßen hat, mit einer Handbewegung und einem Lächeln sagen konnte: >Pardon.< Wenn ich daran dachte, habe ich im Schlaf gewimmert und deinen Namen geschrien, ich habe gestöhnt: >Tibor<, und es kam vor, daß ich erwachte und meinen Vater sah, der am Bettende schlief, er hat sich aufgesetzt, genickt und gesagt: >Leidest du wegen des jungen gnädigen Herrn? Man muß sich läutern.< Läutern, ja. Läutern kann ich mich nicht, doch geläuterter fühle ich mich, wenn ich weiß, daß auch ihr mittendrin seid im Dreck. Und daß auch ihr krepieren werdet. Ich bin ein armes Schwein, komme vom anderen Ufer, und für mich führt kein Weg zu eurer Welt, es gab keinen und wird auch keinen geben, nie, nie! >Heuschrecken und Bären<, sagt mein Vater. Ich hasse euch. Krepiert, aber vorher werde ich euch noch bloßstellen. Vor aller Welt, die euch so wichtig ist, auch wenn ihr abschwört, werde ich euch in den Dreck ziehen. Ich habe betrogen, habe gelogen. Ich habe euch verraten. Auch beim Kartenspiel habe ich gemogelt, mit allem, mit jedem meiner Worte falschgespielt.«
    Er zieht eine Handvoll fettiger Karten aus der Tasche und wirft sie auf den Tisch. »Morgen, Prockauer, gehst du zu Havas. Ob du willst oder nicht. Die Schlinge ist fest und stark. Versuch gar nicht erst zu strampeln. Gott soll dir gnädig sein.«
    Er stockt. Winselnd sieht er sich um. Mit veränderter Stimme, fast hilflos, sagt er: »Gern wäre ich dein Freund gewesen. Aber immer hatte ich Angst, daß du mich beim Essen wegen irgendwas zurechtweist. Einmal hast du es getan. Weil ich die Gabel oder das Messer nicht richtig hielt.«
    »Das kann man lernen«, wirft Béla empört ein.
    Er hat sich jetzt zum ersten Mal gemeldet. Sie starren ihn an. Das verwirrt ihn, und er schlägt die Augen nieder. Die Kerze war ziemlich heruntergebrannt. In der Dunkelheit sehen sie nur die Umrisse voneinander.
    Tibor steht geräuschlos auf. »Na dann«, seine Stimme klingt ratlos und unsicher, »können wir ja vielleicht auch gehen. Ich weiß nicht, wozu wir noch hier sitzen. Jetzt wissen wir ja alles.« Und als sei es ein wichtiges Argument, fügt er noch hinzu: »Die Kerze ist auch heruntergebrannt.«
    »Geht ihr voraus«, sagt Ernő heiser. »Alle. Ich möchte keinen von euch im Rücken haben.« Er hat die Hand in der Tasche und gibt ihnen die Tür frei.
    Tibor hält die nur noch glimmende Kerze hoch und leuchtet ihm ins Gesicht. Schreit leise auf. Ernő s Gesicht ist so entstellt, spiegelt die Qual eines fremdartigen, unerträglichen Schmerzes, und Tibor weicht entsetzt zurück. »Hier muß natürlich Ordnung gemacht werden«, sagt er unsicher auf der Schwelle. »Bevor wir weggehen, soll jeder an sich nehmen, was ihm gehört. Diese Lumpen«, und er weist auf den Berg von Kleidern in ihrem Depot, »können wir auch hier liegenlassen. Ich denke, keiner von uns legt Wert darauf. Das Spiel ist ohnehin aus.«
    »Wie schade, Tibor«, sagt Ábel, der bisher starr und stumm geblieben war, in fast weinerlichem,
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