Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die jungen Rebellen

Titel: Die jungen Rebellen
Autoren: Sándor Márai
Vom Netzwerk:
entgegen seiner Gewohnheit, besonders laut, schlägt auf den Tisch und besteht darauf, daß man ihm zuhört. Tibor schweigt verbissen, sieht sich von Zeit zu Zeit um, als ahne er Unheilvolles und als suche er jemanden. Dann beugt er sich wieder über sein Glas. Béla quält Gurka. Er sitzt ihm jetzt gegenüber, legt sich gelegentlich über den Tisch, blinzelt und fragt ihn im Tonfall eines unterwürfigen und unvorbereiteten, aber interessierten Schülers nach Tacitus-Zitaten. Ábel steht auf und hält, mit dem Glas in der Hand, fiebrig deklamierend eine Rede. Keiner hört ihm zu.
    Gegen drei Uhr morgens gehen sie in den Hof hinaus. Am Tor steht eine dunkle Gestalt mit Laterne, gestützt auf einen Hirtenstock mit gekrümmtem Ende, der die Figur weit überragt. Er bespricht leise etwas mit dem Pächter.
    Langsam, die Laterne hochhaltend, kommt der Mann auf sie zu, wobei er mit dem riesigen Stock bei jedem Schritt in gravitätischem Bogen weit ausholt. »Hier sind sie«, sagt er, bleibt stehen und leuchtet ihnen ins Gesicht. »Die jungen Herren suche ich. Mein Frontkamerad, der junge Herr Prockauer, hat mich um diesen nächtlichen Dienst gebeten.«
    Jetzt erkennen sie ihn und bleiben verdutzt vor ihm stehen. Es ist der Schuster.
    »Eigentlich suche ich den jungen Herrn Prockauer«, sagt der Schuster auch in dieser besonderen Situation mit der für ihn typischen Betonung, unerschütterlich. »Doch wenn ich den Sinn der Botschaft richtig verstehe, so betrifft sie eigentlich auch die übrigen jungen Herren.« Tibor tritt vor: »Was ist mit Mutter, Herr Zakarka?« Der Schuster dreht sich mit der Laterne und dem Stock langsam um und nickt mit einer Gebärde, als wollte er sich für die freundliche Nachfrage bedanken. »Der gnädigen Frau«, sagt er zufrieden, »geht es, den Umständen entsprechend, unverändert gut. In den Abendstunden hat sich ihr Zustand sogar entschieden verbessert. Im Laufe des Nachmittags schien sie schwächer zu werden. So sehr, daß der junge Herr Prockauer mich als seinen Frontkameraden gegen fünf Uhr ins Haus der Herrschaften gebeten hat, damit ich zur Stelle bin, wenn ich eventuell gebraucht würde. Ich möchte noch bemerken, daß der junge Herr Prockauer den ganzen Tag über mit größter Aufopferung seine kranke Mutter betreut hat, buchstäblich keinen Schritt von ihrer Seite gewichen ist, keinen Blick von ihrem Gesicht gewendet hat. In den Nachmittagsstunden sah es dann schon so aus, als würde das Herz der gnädigen Frau aufhören zu schlagen. Einmal kam der junge Herr Prockauer zu mir ins andere Zimmer herüber, wo ich bereitstand, legte einen Finger auf den Mund und gab ein Zeichen, daß das traurige Ereignis jeden Augenblick zu erwarten sei. Aber die erfreuliche Wende, die in den Abendstunden eingetreten ist, hat der gnädigen Frau augenscheinlich ihren Lebenswillen zurückgegeben.« Er hält einen Augenblick inne. »Dem Herrn sei Dank.«
    Jetzt stellt er die Laterne neben sich auf den Boden und legt beide Hände um den Stock. »Die Nacht ist angenehm, doch das Gehen ist leider sehr beschwerlich für mich. Aber der junge Herr Prockauer hat mich so inständig gebeten, daß ich mich seiner Bitte nicht entziehen konnte. Er bestand darauf, daß ich mir auf seine Kosten eine Kutsche nähme, aber ich bin lieber zu Fuß gekommen, wie es meiner bescheidenen Lage angemessen ist. Auch die Apostel sind zu Fuß gegangen. So hat sich die Botschaft vielleicht ein paar Minuten verzögert, aber was zählen schon Minuten im Blick auf die Ewigkeit.«
    »Welche Botschaft, Herr Zakarka?« fragt Tibor verängstigt. »Sagen Sie es endlich.«
    »Sehr wohl«, antwortet er schleppend, als gehorche seine Stimme einer Mechanik, nicht dem menschlichen Willen. »Ein erfreuliches Ereignis. Die Stunde der Läuterung ist nahe. Besonders für die jungen Herren. Mein Wohltäter, der Herr Oberst, ist eingetroffen.«
    »Oberst?« fragt Tibor und fährt mit der Hand in die Höhe. »Welcher Oberst? Mein Vater?«
    Der Schuster nickt zustimmend, gedankenversunken, als habe er die Frage nicht verstanden: »Wieder war er gnädig zu mir«, sagt er zufrieden. »Als er ins Zimmer trat, noch in Frontuniform, begleitet von seinem Burschen, und mich rosenkranzbetend dort sitzen sah, würdigte er mich einiger Worte. >Alter Henker<, sagte er mit unverkennbarer Abneigung, >was suchen Sie bei mir?< Diese Worte geruhte er an mich zu richten. Der Herr Oberst spielte damit auf meine Läuterung an. Die jungen Herren sollen wissen, daß es für
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher