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Die Jaeger

Die Jaeger

Titel: Die Jaeger
Autoren: Johanna Marthens
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wohin Leif geflüchtet war und ob ich ihn jemals wiedersehen würde. Und, ehrlich gesagt, war es mir auch egal. Ich trauerte um Robert, denn dass sie ihn im Lager töten würden, daran gab es keinen Zweifel. Auch von Pfarrer Bernhard fehlte jede Spur. Ich suchte das halbe Dorf ab, doch irgendwann gab ich auf. Verzweifelt lief ich zurück zu Roberts Haus und stieg zum Fenster ein. Dann legte ich mich in das Bett, um seinen Geruch einzuatmen, und begann erneut zu schluchzen.
    Gegen Morgen wachte ich auf und fühlte mich so elend wie schon lange nicht mehr. Mühsam erhob ich mich. Im Bad entdeckte ich tiefe Ringe unter meinen vom Heulen verquollenen Augen, löste mich jedoch zügig wieder von meinem unschönen Spiegelbild und ging hinaus in den Morgen. Ich wollte so schnell wie möglich zu Pfarrer Bernhard eilen. Ich musste unbedingt sehen, wie es ihm ging. Doch als ich zum Pfarrhaus kam, war es leer. Ich rief ihn, doch er reagierte nicht. Schließlich lief ich in die Kirche und rief nach ihm. Doch auch dort erhielt ich keine Antwort. Er war nicht da. Angst beschlich mich, dass ihm etwas passiert sein könnte, dass sie ihn vielleicht ebenfalls ins Lager gebracht hatten. Doch gerade, als ich das Gotteshaus wieder verlassen wollte, hörte ich, wie eine leise Stimme meinen Namen rief.
    »Wer ist da? Pfarrer Bernhard?«, antwortete ich fragend.
    »Nein, ich bin's.«
    Und dann sah ich ihn. Aus einer Ecke hinter dem Gestühl trat Leif hervor. Auf seinen Anblick legte ich gerade am wenigsten Wert.
    »Was machst du denn hier?«, fragte ich unwirsch.
    »Etwas mehr Begeisterung, dass ich noch lebe und frei bin, wäre ganz schön«, murrte er. »Aber ich sehe es ein, es war mein Fehler. Ich war zu blind. Ich war echt blind.«
    Er sah schlimm aus. Seine Augenringe waren noch tiefer als meine, seine Augen blutunterlaufen. Er hatte ein paar Zähne eingebüßt, die nur langsam wieder nachwuchsen. Sein Körper war von Wunden bedeckt, die mühsam heilten. Seine Kleidung hing zerrissen und schmutzig an ihm herunter.
    »Wie bist du ihnen entkommen?«, wollte ich wissen.
    »Pfarrer Bernhard hat sie abgelenkt. Er ist unglaublich, einfach fantastisch. Ich hatte keine Ahnung, dass er der Bär ist. Er hat mich hierher gebracht.«
    Leif wirkte verwirrt. Er starrte mich an, als hätte er heute Nacht die Jungfrau Maria gesehen. Oder den Teufel. Oder beide in einer Person.
    »Wo ist er jetzt?«
    »Im Krankenhaus. Sie haben ihn verletzt, da ist er ins Krankenhaus gefahren.«
    »Alleine?«
    »Nein, seine Freundin war bei ihm. Die hat er gerufen, nachdem er mich hier in Sicherheit gebracht hatte. Er hat die Jäger abgelenkt und auf Trab gehalten, so dass ich entkommen konnte. Ich hatte keine Ahnung, dass er der Bär ist.« Er wiederholte sich. Offenbar stand er unter Schock.
    »Ich weiß. – Sie haben Robert abgeholt.«
    »Oh.« Das war alles, was er dazu sagte. Dann setzte er sich auf die Kirchenbank. Er verbarg den Kopf in seinen Händen. Ich konnte nicht sehen, ob er weinte. Er saß bewegungslos da, das Gesicht von seinen Händen verdeckt. Schließlich setzte ich mich wortlos neben ihn.
    »Ich hatte es geahnt, weißt du?«, sagte er schließlich leise. »Ich spürte, dass irgendetwas nicht stimmt mit ihr, aber ich habe es ignoriert. Ich wollte, dass sie es ist und deshalb die Augen verschlossen.«
    »Oh Gott, Leif, wie konntest du nur?!«
    »Ich weiß, es ist unverzeihlich, aber ich konnte nicht anders. Sie hat mich so an sie erinnert. Dabei hat sie das mit Absicht getan. Wahrscheinlich wussten sie, dass ich ihr nicht widerstehen würde, deshalb haben sie eine ausgesucht, die aussieht wie sie.«
    »Von wem redest du? Wer ist sie?«
    Er antwortete nicht, dann sah er plötzlich auf. Sein Blick war in die Ferne gerichtet. »Sie hieß Eleonore und war die schönste und anmutigste Tänzerin, die ich je gesehen habe. Ihr Körper war eine Offenbarung, ihre Stimme brachte mein Herz zum Schmelzen. Und wenn sie mich anlächelte, lag ich ihr zu Füßen und vergaß alles andere um mich herum. Sie wurde meine Geliebte, wir hatten ein paar wunderbare Jahre miteinander, bis sie an der Schwindsucht starb. Sie bat mich, sie umzuwandeln, aber ich habe es nicht getan. Ich wollte ihr ein Leben wie das meine ersparen. Es hat mir das Herz gebrochen, aber ich weiß, dass es richtig war. Oder?!«
    Er sah mich an, als erwartete er, dass ich ihm Absolution erteilte. Ich wollte mir eigentlich nicht die Mühe machen, mich mit seinem Problem zu beschäftigen, aber als ich
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