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Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)

Titel: Die Insel oder Rechtfertigung des sinnlosen Reisens (German Edition)
Autoren: Wassili Golowanow
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schlecht zu der Vorstellung zu passen, die Kaufleute hätten die Nenzen regelmäßig »abgefüllt«, wovon auch Saweljew berichtet, dem nicht zu glauben wir keine Veranlassung haben. Allerdings schreibt Saweljew über Kolgujew zu einem Zeitpunkt, als die Insel noch eine sehr abgelegene Besitzung von Mesener Pomoren war. Als diese nach einem großen Viehsterben (auch hier wieder das Herdensterben!) fanden, die jährliche Ausrüstung einer Expedition nach Kolgujew lohne nicht mehr, ging die Insel in die Hände der Sumarokows aus Oksino an der Petschora über, die offenbar eine andere »Alkoholpolitik« verfolgten – auch wenn Trevor-Battye davon berichtet, dass Alexander Sumarokow den »alten Iwan« (Purpej) zur Begrüßung mit Wodka bewirtete. Nikita Ardejew äußert hierzu etwas für uns überaus Interessantes: »Die Roten brachten zum ersten Mal so viel Alkohol auf die Insel, dass es bis zum Frühling reichte.«
    62 Ein 1939 im Rahmen der Sesshaftmachung gegründetes Renhalterdorf unweit von Oksino an der Petschora. [Anm.d.Ü.]
    63 Die »endgültige Beseitigung des Analphabetentums« (
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widazija
bes
-gramatnosti) wurde auf dem 16. Parteitag der KPdSU von 1930 zur »Kampfaufgabe der Partei« erklärt. Neben flächendeckendem Unterricht und dem Bau von Schulen wurde für eine Reihe von Sprachen indigener Völker eine Schriftsprache entwickelt, darunter auch für das Nenzische. [Anm.d.Ü.]
    64 Auf Kolgujew kam es 1947 und 1952 zu Vereisungen, aber womöglich ist hier von einer noch früheren die Rede.
    65 Ein zwar kastrierter, aber nicht als Zugtier abgerichteter Bulle, den man frei in der Herde laufen lässt, damit er mit seinen Hufen den Schnee aufscharrt.
    66 Stange zum Antreiben der Rene.
    67 Auf der Aufnahme sagt Nikita deutlich hörbar »Tument« statt »Instrument«.

VI.
Soziologischer Abriss, für das Geographische Institut der Akademie der Wissenschaften verfasst von den Teilnehmern der Expedition von 1994
Das Dorf Bugrino
.
    Bugrino, ein sich längs der Küste erstreckendes Dreireihendorf, ist der größte Siedlungspunkt Kolgujews und liegt am Rande eines von Moltebeeren überwachsenen bültigen Torfmoors, das direkt hinter den letzten Baracken beginnt. In dem Moor entspringen die beiden aufgestauten Bäche, die das Dorf in tiefen Schluchten durchschneiden und von denen einer der Trinkwassergewinnung dient. Die irgendwann einmal über die Schluchten gebauten zwei Brücken sind in äußerst schadhaftem Zustand.
    Zwischen den Barackenreihen gibt es Straßen mit zerfahrener Holzpflasterung, die nicht ausgebessert wird. Die dem Meer zunächst gelegene »Seestraße« ist schwer ramponiert von den Herbststürmen, vor allem deshalb, weil eine wachsende Anzahl winziger Schluchten sie unterhöhlt, über denen der Belag – der auch hier nur rudimentär geflickt wird – durchhängt. Die Küstenerosion hat einen bedeutenden Teil der Pufferzone zwischen der vorderen Häuserreihe und dem drei bis vier Meter hohen Steilufer »gefressen«. An zwei Stellen ist das Ufer bis auf fünf, sechs Meter an die Baracken herangerückt, weshalb die Seestraße ganz aufgegeben werden soll.
    Die Entwicklung des Dorfes vollzog sich in mehreren Etappen: Die ersten Wohnbaracken und die Speicher des Geschäfts entstanden schon nach der Einrichtung der Faktorei, also in den 1920er und 1930er Jahren. Der Großteil der Wohneinheiten wurde in den 1950er Jahren von Baubataillonsoldaten errichtet. »Sesshaft« wurde die Inselbevölkerung 1960/61, als die Sowchose Kolgujewski gegründet wurde (d.h., die Menschen begannen das ganze Jahr hindurch im Dorf zu wohnen). Inzwischen sind die Baracken deutlich in die Jahre gekommen, um nicht zu sagen: marode. Insgesamt sind es von den Stürmen angenagte, mit Kunststoffplanen und irgendwo ergatterter Burukrytie »wärmegedämmte« Holzbauten ohne Sanitäranlagen, überbelegt und schmutzig. Viele Dorf bewohner haben sich eine eigene Banja gebaut. In Bugrino gibt es weder einen Frisör, noch Reparaturwerkstätten, noch überhaupt irgendwelche Dienstleistungsbetriebe. Die Haushaltsabfälle werden in die Richtung Meer führenden Schluchten oder einfach »über den Abhang« geworfen, weshalb der Uferbereich unterhalb der Siedlung ungewöhnlich vermüllt und verdreckt ist.
    Die Wohnbaracken am Südende des Dorfes sind verschwunden. Hier stehen das Geschäft und drei sehr marode Speicher. In einem davon befindet sich die Bäckerei. Der Pier, schon nicht mehr in bestem Zustand, als er noch genutzt wurde, ist
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