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Die Insel des Dr. Moreau

Die Insel des Dr. Moreau

Titel: Die Insel des Dr. Moreau
Autoren: H. G. Wells
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ich noch schwach war von der Zeit im Boot; ich war ausgelaugt und matt, sonst hätte ich mehr Mut gehabt. Nun aber begann ich plötzlich zu schluchzen und zu weinen, wie ich es nicht mehr getan hatte, seit ich ein kleines Kind war. Mir liefen die Tränen das Gesicht herunter. In leidenschaftlicher Verzweiflung schlug ich mit den Fäusten auf das Wasser im Boot und stieß wild gegen den Bordrand. Ich betete laut zu Gott, er möge mich sterben lassen.

6
    Die verdächtigen
    Bootsleute

    Aber die Insulaner bekamen, als sie mich so dahintreiben sahen, Mitleid mit mir. Ich wurde sehr langsam nach Osten getragen, schräg auf die Insel zu, und plötzlich sah ich mit ungläubiger Erleichterung das Boot wenden und zu mir zurückfahren. Es war schwer beladen, und als es herankam, konnte ich sehen, daß Montgomerys Gefährte mit dem weißen Haar und den breiten Schultern mit den Hunden und mehreren Packkisten zusammengedrängt im Heck saß. Dieser Mensch starrte mich fest an, ohne sich zu rühren oder zu sprechen. Der Krüppel mit dem schwarzen Gesicht, der neben dem Pumakäfig im Bug kauerte, starrte mich ebenso unbeweglich an. Außerdem waren noch drei Leute vorhanden, seltsame, tierisch aussehende Gesellen, die von den Hetzhunden wild angeknurrt wurden. Montgomery steuerte und brachte das Boot zu mir her; er stand auf und befestigte meine Bootsleine an seiner Ruderpinne, um mich ins Schlepptau zu nehmen - denn es war kein Platz an Bord.
    Ich hatte mich mittlerweile von meinem Schrecken erholt und beantwortete seinen Ruf, als er herankam, ziemlich beherzt. Ich sagte ihm, das Boot sei fast voll, und er reichte mir einen Schöpfer. Ich wurde nach hinten geschleudert, als das Seil zwischen den beiden Booten sich plötzlich spannte. Eine Zeitlang hatte ich mit dem Schöpfen zu tun.
    Erst als ich das Wasser entfernt hatte - das Boot war im übrigen vollständig heil -, hatte ich Muße, mir die Leute im Langboot wieder anzusehen.
    Der Weißhaarige blickte mich noch immer unverwandt an, aber, wie es mir jetzt vorkam, mit einem Ausdruck von Besorgnis. Als meine Augen den seinen begegneten, blickte er auf den Hund nieder, der ihm zwischen den Knien saß. Es war, wie ich schon sagte, ein mächtig gebauter Mann mit schöner Stirn und etwas derben Zügen, aber seine Augen zeigten das merkwürdige Überhängen der Haut über die Lider, wie es oft mit den vorrückenden Jahren kommt, und die herabgezogenen Mundwinkel gaben ihm den Ausdruck kampflustiger Entschlossenheit. Er sprach mit Montgomery in zu leisem Ton, als daß ich seine Worte hätte verstehen können. Von ihm wanderten meine Augen zu den drei Bootsleuten: es war eine seltsame Mannschaft. Ich sah nur ihre Gesichter, aber in ihren Gesichtern lag etwas - ich weiß nicht, was -, das mir eine wunderliche Aufwallung von Widerwillen verursachte. Ich sah sie fest an, und der Ekel verging nicht, obgleich ich nicht einsah, was ihn veranlaßte. Es schienen mir braunhäutige Menschen zu sein, aber ihre Glieder waren sonderbarerweise in dünnes, schmutziges weißes Zeug gehüllt - bis hinunter zu den Fingern und Füßen. Ich habe Männer nie so eingewickelt gesehen, und Frauen nur im Osten. Sie trugen auch Turbane, und darunter hervor blickten mich ihre gnomenhaften Gesichter an, Gesichter mit vorspringendem Unterkiefer und glänzenden Augen. Sie hatten schlichtes schwarzes Haar, fast wie Pferdehaar, und wie sie da saßen, schienen sie an Größe alle Menschenrassen zu überragen, die ich je gesehen habe. Der weißhaarige Mann, der, wie ich wußte, gute sechs Fuß maß, war im Sitzen einen Kopf kleiner als der Kleinste von den dreien. Später stellte ich fest, daß in Wirklichkeit keiner größer war als ich, aber ihr Rumpf war abnorm lang und die Schenkelpartie kurz und merkwürdig gebogen. Auf jeden Fall war es eine verblüffend häßliche Gesellschaft, und über ihren Köpfen, unter der vorderen Rahe, blickte mich der Mann mit dem schwarzen Gesicht an, dessen Augen im Dunkel leuchteten.
    Als ich sie anstarrte, begegneten sie meinem Blick, und dann wandten sie sich einer nach dem anderen ab, und von nun an blickten sie mich merkwürdig verstohlen an. Mir kam der Gedanke, ich könnte sie vielleicht belästigen, und ich widmete meine Aufmerksamkeit der Insel, der wir uns näherten.
    Sie war niedrig und mit dichter Vegetation bedeckt, hauptsächlich einer Palmenart, die mir neu war. An einem Punkt stieg dünner weißer Rauch schräg in eine ungeheure Höhe und verästelte sich dann wie eine
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