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Die hölzerne Hedwig

Die hölzerne Hedwig

Titel: Die hölzerne Hedwig
Autoren: zu KLAMPEN
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Kommissarin, eins nahm er selbst. Verdutzt sah Karolina, wie der junge Uniformierte neben ihr das dritte Glas ergriff und
     es sich in den Schlund schüttete. Er schüttelte sich, stellte das Glas zurück und sagte: »An Ihrer Stelle würde ich trinken.«
    Erst war die Kommissarin überrascht gewesen, jetzt wurde sie kampflustig. »Und wenn nicht?«
    »Dann erschweren Sie die Ermittlungsarbeiten.«
    Fassungslos starrte sie den Polizisten an, den sie vor zwei Minuten zum ersten Mal gesehen hatte.
    »Wie reden Sie denn mit mir?«, fragte sie scharf.
    »Ich bin ein Kollege, auch wenn ich jünger bin und noch nicht so erfahren wie Sie.«
    »Außerdem scheinen Sie lebensmüde zu sein.«
    Lachend entgegnete er: »Die beiden heißen Janovic und kommen aus Kroatien, Kriegsflüchtlinge. Sie haben drei Kinder. Sie begrüßen
     jeden Menschen, wie sie es aus ihrer |9| Heimat gewohnt sind. Sie sind gastfreundlich. Wir sollten das ausnutzen.«
     
    Nach der Begrüßung gingen sie auf dem Weg, der parallel zur Landesstraße verlief, Richtung Tatort. Der Berufsverkehr war schon
     durchgerauscht, vereinzelte Nachzügler übertrieben es nicht mit der Eile.
    Die Kommissarin schwieg, der junge Beamte redete ununterbrochen. Graf hieß er, Marvin Graf. Er schien besessen von seinem
     Vornamen, hatte ihn sogar buchstabiert. »Die meisten glauben, ich heiße Martin und rede undeutlich. Gegen diesen Eindruck
     kämpfe ich an, solange ich denken kann.«
    »Lassen Sie mich raten: Sie haben früh mit dem Denken begonnen, und mit dem Reden haben Sie noch früher angefangen.«
    Küchenmeister, Karolinas Kollege, schaute kurz vorbei und trabte gleich wieder davon.
    »An dem haben Sie bestimmt viel Freude«, behauptete Marvin. »Der weiß, was er will. Außerdem sieht er unheimlich gut aus.
     So was haben wir hier bei uns nicht.«
    Die Kommissarin begann sich zu fragen, ob diese Redseligkeit eine Taktik des Mannes war. Für seine berufliche Zukunft sah
     sie schwarz.
    Von der Landesstraße zum Grundstück, auf dem der Tatort lag, führte ein 30 Meter langer Weg. Spurensicherer und Polizei waren
     bei der Arbeit, niemand durfte ins Haus. Die Leiche war vor zwei Stunden zur Obduktion gefahren worden, das Baby hatte man
     ebenfalls ins Krankenhaus gebracht. Erste Äußerungen fielen hoffnungsvoll aus. Alle Vitalfunktionen |10| waren in Ordnung, der Appetit ebenso. Ob die blauen Flecken von ungeschickten Händen bei der Geburt herrührten oder ob der
     Winzling bei der Tötung des Mannes zwischen die Fronten geraten war, stand noch nicht fest.
    Die Kommissarin zögerte das Unvermeidliche hinaus, solange es ging. Dann erkundigte sie sich nach einem Kollegen des übereifrigen
     Polizisten. Es war, als hätte sie den Korken aus der Flasche gezogen, so beflissen sprudelten die Informationen. Der ältere
     Beamte der Polizeistation aus dem Nachbardorf befand sich beim Ostheopathen, weil er keinen anderen Weg sah, die Schmerzen
     im Kreuz loszuwerden.
    »Schuld sind wir!«, rief Marvin anklagend. »Diese Stühle! Seit zehn Jahren schreibt er Eingaben, zwei Stühle habe ich vom
     Sperrmüll abgestaubt, aber das ist natürlich alles nicht das Richtige.«
    Die Kommissarin flüchtete sich in einen Rundgang um die Hütte und durch den Garten. Währenddessen referierte der hoch motivierte
     junge Beamte mit Hilfe seines Notizbuches, zu dem sich später ein zweites Notizbuch gesellte. Beim Reden hielt er beide aufgeschlagen
     in den Händen. Wenn er Vortrag hielt, war er zu ertragen. Die Kommissarin brauchte zwei Minuten, um zu erkennen, dass sie
     einen solch exzellenten Vortrag lange nicht gehört hatte. Von Küchenmeister mit Sicherheit noch nie, das schloss die Zukunft
     bis zu seiner Pensionierung ein.
    Hammerloh war eine Gemeinde mit weniger als 100 Einwohnern. Solche Dörfer waren von der Wiedervereinigung schwer getroffen
     worden. Jahrzehntelang am Tropf der Zonenrandförderung genährt, hatten sie den Übergang in marktwirtschaftliche Zustände nie
     gepackt. Drei Betriebe und |11| Geschäfte boten noch Arbeitsplätze an, alle anderen Beschäftigten pendelten nach Lüneburg und Hamburg. Wer es sich nicht aussuchen
     konnte, musste nach Uelzen. Oder nach Bevensen, wo sie in den 70er Jahren so lange gebohrt hatten, bis eine Quelle zu sprudeln
     begann. Das Wachstum des Kurorts hatte einen neuen Geldadel an die Spitze gespült. Neidisch hatten die behäbigen Heidjer zugesehen,
     wie die Fixesten von ihnen die Chance ergriffen hatten. Zwei Jahrzehnte später
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