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Die Himmelsmalerin

Die Himmelsmalerin

Titel: Die Himmelsmalerin
Autoren: Pia Rosenberger
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Türsturz einziehen musste. »Er ist so launisch wie der Wüstenwind.«
    »Ihr mögt Eure Pferde?« Pferde waren für die meisten Leute nicht mehr als Nutztiere, die Lasten trugen oder ihren Herrn in den Krieg. Dann waren sie allerdings mit Gold nicht aufzuwiegen.
    »Sie sind so etwas wie meine Familie«, sagte der Fremde, trat in die Box und legte dem Hengst die Hand auf die Stirn, der sich sofort beruhigte.
    »Hoho.« Er lachte leise. »Darf ich vorstellen. Étoile, der Stern des Orients. Und hier haben wir …« Er machte eine kleine Verbeugung in Richtung der Stute. »Die brave Bonne. Und da …« Seine spöttischen Augen wanderten zu Lena. »… die nicht ganz so brave Jungfer Madeleine.« Lena klopfte der Stute den Hals, die ihr zum Dank dafür sanft in die Hand pustete.
    Der Glasmaler hatte sich neben den Weißen gestellt und begonnen, ihn zu bürsten. Sie trat hinzu und streichelte ihn an der Flanke. Und siehe da, er blieb stehen und legte den Kopf an ihre Schulter. Wahrscheinlich, weil sein Herr die Box mit ihm teilte.
    »Habt ihr ihn wirklich aus dem Orient?«, flüsterte sie.
    »O nein!« Er rieb dem Hengst den Kopf. Seine Hände waren groß und braun, mit langen Fingern und kräftigen Gelenken. Die Hände eines Künstlers. Lena wünschte sich plötzlich, sie in ihrem Gesicht zu spüren wie Étoile. Sie blinzelte und versuchte, den Gedanken so schnell wie möglich zu vergessen.
    »Er stammt aus El Andaluz. Bis übers Meer bin selbst ich noch nicht gekommen. Aber seine Väter haben den Wüstenwind getrunken. In einem Rennen schlägt er jeden Konkurrenten aus dem Feld.«
    Sie lachte und hoffte, dass er die Röte auf ihren Wangen nicht sehen würde. »In Esslingen sicher nicht. Da rennt er gleich an irgendwelche Häuserecken.« Was redete sie da für einen Unsinn!
    Er lachte leise. »Freiheit gibt es hier sicher nicht. Für Pferde nicht und auch nicht für Menschen. Aber die Welt ist viel größer als diese kleine Reichsstadt.«

    Die Tür des Haupthauses öffnete sich.
    »Lena!«, rief Martha ungeduldig. »Wo bleibt sie bloß? Immer verschwätzt sie sich mit den Mägden.«
    »Geht schon!«, sagte der Fremde und nahm den Hafersack vom Boden. »Sonst kriegt Ihr kein Frühstück und wieder Ärger mit Eurem Bräutigam.« Er drehte sich um und schaute ihr mit seinen dunklen Augen mitten ins Herz.
    Lena merkte, wie sich die Röte auf ihren Wangen vertief- te, und wandte sich zur Tür. Körner rieselten in die Krippe, und der Fremde sprach weiter beruhigend auf seine Pferde ein.

5
    »Eines Tages baue ich den höchsten Chor der Welt.« Valentin stand in schwindelnder Höhe auf dem Gerüst und hielt den Dreipass, den Meister Heinrich in den Spitzbogen einfügte. Langsam wurden seine Arme gefühllos. Es war der erste, den er allein behauen hatte, und würde eines der Werkstücke sein, die er für seine Lossprechung vor der Zunft sammelte. Er war stolz auf sein Werk, für das er unermüdlich Staub geschluckt hatte. Vom Morgengrauen bis zur Dunkelheit, die alle Arbeit unmöglich machte, hatte er sich die Finger am Kalksandstein blutig geschlagen und das Maßwerk einigermaßen gleichmäßig hingekriegt. Die Kehlungen hatten sicher Dellen in seinen Fingern hinterlassen.
    Filigran wie ein Stück Spitze erhob sich der noch gewölbelose Chor der Liebfrauenkapelle vor dem dunkelblauen Himmel. Die Sonne stand schon fast im Zenit und brannte Valentin auf den Kopf. Hinter der Stadtmauer, an die sich der Neubau fast unmittelbar anschloss, zogen sich die Weinberge den Hang hinauf wie ein dichter, hellgrüner Pelzbewuchs. Weit unter ihm dehnte sich die Stadt mit ihrem Häusergewirr aus, im Zentrum die Stadtkirche mit ihren stolzen Doppeltürmen und dem Hochchor, der so viel größer war als der »seiner« Marienkapelle. Die Stadtoberen hatten den Neubau der Bürgerkirche ganz bewusst am Hang geplant. Als Kapelle konnte sie nicht größer ausfallen als ihre Konkurrenz, aber sie konnte zumindest von ihrem Standort aus auf sie herabsehen. Trotzdem starrte Valentin neidisch hinüber zur Stadtkirche, deren Südturm sich ebenfalls im Bau befand. Auf dessen Gerüst hockten die Speyrer Steinmetze wie ein Schwarm Spatzen kurz vorm Ausfliegen. Er kannte jeden von ihnen mit Namen und wäre gern ein Teil der Speyrer Bauhütte gewesen, die den schwierigen, wackligen Südturm fertigstellte.
    »Schaff lieber, anstatt Unsinn zu schwätzen«, brummte Meister Heinrich. Ein Schweißtropfen lief an seiner Nase herunter. »Die Kapelle ist etwas
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