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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition)
Autoren: Beatrix Mannel
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Glück bringen sollte. Danach bestieg er seinen mit rotem Samt und Gold geschmückten Elefanten und seine zwanzig Amire die ihrigen.
    Weil ich durch einen Schlitz in der Tür dem Aufbruch zugeschaut hatte, sah ich, dass vor dem Mogulherrscher Diener mit Kamelen ritten, die weiße Tücher trugen. Weiß war hier die Farbe der Trauer.
    Als ich dazu die Mahaldar befragte, erklärte sie mir, dass damit die Leichen am Wegrand, egal, ob es Menschen oder verendete Tiere waren, bedeckt wurden. Die Mahaldar war so stolz auf ihre Position im Harem des Großmoguls, dass sie mir voller Begeisterung alles erzählte, was ich wissen wollte. Da waren die Wasserträger, die den Weg benetzten, um zu verhindern, dass Staub aufgewirbelt wurde, der den Herrscher der Gläubigen beschmutzen konnte. Es seien bestimmt 35 000 Pferde und mehr als 10 000 Fußsoldaten, die unseren Zug begleiten würden, außerdem Offiziere, eine Armee von Handwerkern und Wasserträgern, Dienern und Sklaven.
    Ich versuchte ihr nicht zu zeigen, wie sehr mich dieser Bericht enttäuschte. Ich hatte gehofft, diese Reise würde mir endlich die Gelegenheit zur Flucht geben. Seit dem Tod meines Sohnes hatte ich nur noch den einen Wunsch, diese Welt zu verlassen und in meine Heimat zurückzukehren. Aber ich achtete sehr darauf, das niemanden spüren zu lassen. Auch wenn es nicht einfach war. Denn ich durfte nicht einmal meine Flöte spielen, weil Aurangzeb Musik hasste. Die Älteren im Harem beklagten sich hinter vorgehaltener Hand darüber, denn früher, unter seinem Vorgänger, war viel mehr gefeiert worden. Es hatte Alkohol und Wasserpfeifen gegeben, und die Musikanten waren gefördert worden. Warum auch nicht, flüsterten die Konkubinen, es gäbe keine Zeile im Koran, nach der Musik verboten sei. Und manchmal ließ sich dann die Mahaldar auch dazu bewegen, ein kleines, leises Fest mit Musikern zu arrangieren.
    »Raihana!« Bestimmt hatte Fatima wieder Kopfschmerzen. Auch wenn die kaiserlichen Damen in reich geschmückten Sänften, den sogenannten Howdas, auf den weiblichen Elefanten reisen dürfen, so werden sie doch genauso durchgeschüttelt wie die nachfolgenden Hofdamen auf den Kamelen.
    Ich schritt durch die Frauenzelte über die weichen roten Pashmina-Teppiche mit dem eingewebten blauen Blütenknospenmuster und beeilte mich, zur Mahaldar zu kommen.
    »Raihana, wo warst du schon wieder? Dein Platz ist hier, bei deiner Herrin!«
    Damit meinte die Mahaldar sich selbst. Sie ohrfeigte mich mit so viel Wucht, dass ihre schweren Perlenohrringe dabei ins Pendeln kamen. »Merk dir das! Fatima braucht ein Fußbad und eine Massage.«
    Fatima, zart wie eine Gazelle, lag bleich auf einem Bett aus Teppichen und dicken Seidenkissen in den Farben des Sonnenuntergangs. Ihr Lager war mit durchsichtig schimmernden Gazeschleiern verhüllt, die sich im Luftzug leicht bewegten. Die sanfte Brise wurde von drei Sklavinnen erzeugt, die mit großen Palmwedeln auf und ab fächelten.
    Fatima stöhnte. Eigentlich sollte ich ihr nicht helfen, denn sie war die hinterhältigste der vier Frauen von Aurangzeb.
    Ich trat vorsichtig zu ihr und nahm ihre mit Türkisen und Rubinen reich geschmückte Hand.
    »Ich sehe wieder nur Sandstürme in meinem linken Auge …«, flüsterte sie.
    Da wusste ich, was ich für sie tun konnte – keineswegs Fußbäder! Ich hob den Kopf der vierten Frau von ihrem goldenen Kissen und bettete ihn auf meinen Schoß, wie es meine Mutter immer getan hatte. Dann strich ich ihre Stirn mit meiner flachen Hand nach außen aus, drückte fest auf ihre ausgedünnten Augenbrauen und strich auch diese aus.
    »Das ist gut«, flüsterte sie. »Das ist sehr gut, Raihana, mach weiter, hör ja nicht auf.«
    Danach umfasste ich ihren Nacken und versuchte, ihn behutsam zu lockern, was mir so gut gelang, dass Fatima einschlief.
    Die Mahaldar, die kurz darauf vorbeikam, nickte mir mit einem breiten Lächeln zu. Ihr Grinsen erschreckte mich mittlerweile nicht mehr, denn ich hatte mich an ihre schwarzen Zähne gewöhnt, die sie durch das Kauen von Betelnüssen färbte, weil sie es für schön hielt. Obwohl ihr Körper gewaltige Ausmaße hatte, bewegte sie sich schnell und lautlos wie ein Gepard. Nichts entging ihr, sie wusste um jede Sünde, die im Harem begangen wurde, und je nachdem, wie hoch man in ihrer Gunst stand, wurde das dem Nazir, dem Aufseher des Harems, gemeldet oder auch nicht.
    Sie war sehr besorgt um das Wohlergehen aller ihr anvertrauten Damen, und seit sie die Leitung des
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