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Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Die Hexengabe: Roman (German Edition)

Titel: Die Hexengabe: Roman (German Edition)
Autoren: Beatrix Mannel
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Cicero hingewiesen, das sich unter der Weltkarte befand: »Denn was kann dem an menschlichen Dingen groß erscheinen, dem die ganze Ewigkeit und die Größe des ganzen Kosmos bekannt ist?«
    »Daran musst du immer denken«, hatte er gesagt, »besonders dann, wenn du verlierst. Du musst dir darüber klar sein, dass du nur ein winziges unbedeutendes Nichts in diesem ganzen Universum bist. Kein Grund also, beim Verlieren großes Aufhebens zu machen.«
    »Und woran soll ich beim Gewinnen denken?«, war Rosas Erwiderung darauf gewesen, immer in freudiger Erwartung seiner Antwort, die stets die gleiche blieb.
    »Beim Gewinnen denkst du nur an eins, nämlich daran, dass es nichts Wichtigeres gibt als das!« Dabei hatte er so gelacht, dass Rosa seine Zahnlücken weit hinten im Mund hatte sehen können.
    Ihr war, als wäre das Lachen mit ihm zusammen gestorben. Der Handschuh war alles, was ihr von ihm geblieben war. Sie sog den Geruch des neuen Leders tief ein.
    Das neue Leder, die Weltkarte des Ortelius, Indien. Schiffe.
    Rosa setzte sich mit einem Ruck auf. Ihre Schwester war mit dem Schiff nach Indien gefahren, einem Schiff der Vereinigten Ostindischen Kompanie, für die Dorotheas Mann arbeitete. Er war Kaufmann. Ihr Vater hatte die Handschuhe gekauft, weil er von Baldessarini gehört hatte, dass er buntes Leder nach Erlangen gebracht hatte. Und Baldessarini war ein venezianischer Kaufmann, der mit Nürnberg Handel trieb. Venedig lag am Meer, das hatte sie von ihrem Vater gelernt. Es musste dort also einen großen Hafen geben, und bestimmt gab es Schiffe, die von dort nach Indien segelten.
    Baldessarini, dachte sie immer wieder, Baldessarini. Ich werde ihn fragen. Und schließlich fiel sie in einen langen und traumlosen Schlaf.

4. Kapitel
     
    R aihana!« Noch immer fiel es mir schwer zu begreifen, dass ich damit gemeint war. Es bedeutete »Sklavin Mohammeds«, und nichts anderes war ich: Sklavin. Ich verfluchte den Tag, an dem mir mein Leben gestohlen wurde. Aber ich würde es mir zurückholen.
    »Ja!«, rief ich zurück, konnte mich aber noch nicht vom Anblick dieses seltsam schönen Flusses losreißen. Sie nannten ihn Narmada; er durchschnitt grünblau, weiß und schwarz schimmernden Marmor, der sich im Wasser widerspiegelte. Doch was mich am meisten entzückte, war dieser eigenartige Glanz, der von seinem Wasser ausging.
    Neeraja und Saida, die Hindusklavinnen, hatten mir eine alte Geschichte erzählt, nach der der heiligste Fluss der Hindus, der Ganges, sich jedes Jahr einmal als schwarze Frau verkleide, um ein reinigendes Bad im Fluss Narmada zu nehmen. Was für ein Kinderglaube, dass man sich durch ein Bad im Fluss von allem reinigen könnte!
    Ganz in der Nähe unseres Lagers wurde der Narmada zu einem reißenden Wasserfall. Das Rauschen und Krachen und Tosen des Wassers war deutlich zu hören und vibrierte leise durch meinen Körper. Dorthin wollte ich und auf meiner Duduk spielen. Eins werden mit der Landschaft, nicht, um zu vergessen, was war, sondern um mich spielend zu erinnern, erinnern an das Land meiner Mutter und an ihn, meinen über alles geliebten Sohn.
    »Raihana!« Die Mahaldar persönlich rief nach mir. Die Vorsteherin des Harems glaubte, dass ich heilerische Fähigkeiten hatte. Und das war von großem Vorteil für mich, denn seit ich ihre Rückenschmerzen wegmassiert hatte, musste ich keine grobe Arbeit mehr machen.
    »Raihana!« Diesen Tonfall kannte ich. Ich sollte mich beeilen.
    Wahrscheinlich hatte eine der Lieblingsfrauen von Aurangzeb Kopfschmerzen, was mich nicht wunderte. Wir waren seit dreißig Tagen in glühender Hitze unterwegs nach Dekkan, wo, so wurde im Harem jedenfalls getuschelt, Aurangzebs Anwesenheit erforderlich war, um die Aufständischen vor Ort in Schach zu halten.
    Für mich war das Unterwegssein wie ein Geschenk, das mich von der Eintönigkeit des Harems befreite, doch für die anderen Frauen des Harems war es nur eine Strapaze. Denn es bedeutete, dass der Großmogul seinen gesamten Hofstaat auf Elefanten, Pferde und Kamele verpacken ließ, und alle mussten mitreisen.
    Bevor wir losgezogen waren, warteten wir auf die Prognosen der Astrologen, die den besten Tag für den Aufbruch bestimmen sollten, sich aber nicht einigen konnten. Die Mahaldar hatte uns kichernd erzählt, die Astrologen hätten sich erst dann geeinigt, als Aurangzeb drohte, sie seinen Elefanten zum Spielen vorzuwerfen.
    Als es dann endlich losging, bestrich der Mogul einen Fisch mit Joghurt, was unserer Reise
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