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Die Hexen - Roman

Die Hexen - Roman

Titel: Die Hexen - Roman
Autoren: Heyne
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rotbraun wie faulendes Blut. Schnürregen ging über der Stadt nieder, Wolken verdüsterten den späten Nachmittag. Die wenigen Verkäufer, die ihre Stände auf dem Marktplatz im Gerberviertel aufgebaut hatten, verschränkten die Arme eng vor der Brust und warteten frierend und missgelaunt auf Kundschaft. Über ihre Karren und Tische hatten sie geölte Planen gespannt, die im Wind auf und ab schlugen. Nur der Besenbinder grinste angesichts des über den Platz wirbelnden Laubs und bot den wenigen Passanten sein Sortiment an Reisigruten, Handfegern, Kehrschaufeln und Kehrichteimern dar.
    Er war ein ansehnlicher Bursche mit breiten Schultern und struppigem Haar, doch das Schicksal hatte es nicht gut mit ihm gemeint. Er verbarg zwei Reihen fauliger Zähne hinter der Hand, wenn er seine Waren anpries. Die zerschlissenen Gewänder zog er geschickt übereinander, so dass jedes Loch von einem Leinenstreifen oder einem Wollwickel verdeckt wurde. Der Hut mit der eingerollten Krempe lief wie ein Schnabel spitz zu. Kurzum: Der Besenbinder sah wie ein gescheckter Gockel aus.
    Die schlanke Gestalt, die über den Marktplatz eilte, entdeckte er sofort. Die Frau trug einen mitternachtsblauen Mantel. Die Säume und die weiten Ärmel waren mit einer schwarzen Spitzenborte eingefasst, ebenso die Kapuze, die sie mit beiden Händen festhielt, damit der Wind sie ihr nicht vom Kopf zerrte.
    Sie hatte es eilig. Der Besenmacher konnte ihr Gesicht nicht sehen, doch an den langen, weißen Fingern und den schlanken Handgelenken erkannte er, dass es sich um eine junge Frau handeln musste. Eine hübsche Frau, eine reiche Frau. Vielleicht war sie die Gattin oder die Tochter eines Patriziers, die in den Häusern im Zentrum der Stadt wohnten. Ihre Hände waren sauber und gepflegt, nicht rot und rissig wie bei den Waschfrauen oder den Mägden, die den ganzen Tag ihre Herrschaften bedienen mussten, und der Besenbinder fragte sich, wie es wohl kam, dass sie sich in einen Stadtteil von so zweifelhaftem Ruf verirrt hatte.
    Der Pfiff, den er ausstieß, als sie an seinem Stand vorüberkam, sollte beiläufig klingen, so als trällere er bei der Arbeit vor sich hin. Trotz seines gesenkten Kopfes behielt er die junge Frau scharf im Auge und hatte bereits ein Lächeln auf dem Gesicht und eine kesse Frage auf den Lippen.
    Das Lächeln erstarb und die Frage fiel dem Vergessen anheim, als die Gestalt in dem dunkelblauen Umhang herumwirbelte. Die Augen lagen im Schatten unter der Kapuze. Ein unheilvolles Glühen schimmerte in ihnen, es hatte den Farbton von siedendem Blei. Ein schmales Gesicht, aus dem der kirschrote Mund leuchtete, wandte sich dem Besenmacher zu, und als der Wind eine Falte des Mantels zurückschlug, sah er, dass das Kleid aus roter Seide bestand. Ein schmaler Gürtel lag auf den Hüften der Frau, mehr Zierde als Halterung, und in einer mit Edelsteinen geschmückten Scheide steckte ein Dolch.
    Ihr roter Mund verzog sich zu einem Lächeln, die glänzenden Lippen öffneten sich. Mit einer Handbewegung schnippte die Frau einen knochenweißen Stab in seine Richtung und wisperte nur ein einziges Wort.
    »Wyrmeð.«
    Dann ging sie weiter.
    Der Besenmacher starrte der davoneilenden Gestalt mit einem idiotischen Grinsen hinterher. Soeben hatte er sich zum Gespött des Markts gemacht, das war ihm klar. Der Seifensieder und die Korbflechterin tuschelten bereits hinter vorgehaltener Hand und der Kerzenzieher grinste, während er seine Waren sorgfältig in die mitgebrachten Holzkästen sortierte. Die anderen Händler waren dabei, ihre Stände abzubrechen, denn das Wetter verschlechterte sich. In den Nieselregen mischten sich erste Schneegraupel.
    Der Mantel der Unbekannten blähte sich wie ein Segel, als sie die Straße überquerte. Mit großen Schritten wich sie den Furchen aus, welche die Räder der Fuhrwerke in den Matsch gegraben hatten. Ohne Zögern zog sie das hölzerne Tor auf und betrat den Friedhof.
    Der Bürstenmacher schlug ein Zeichen, das vor Werwölfen und Geistern schützte, und küsste seinen Daumen. Auf den Totenacker wollte sie also, bei diesem Wetter und bei Einbruch der Dunkelheit. Das Grab ihrer Mutter aufsuchen oder einem toten Kind eine Kerze bringen – kein Wunder, dass die Kundschaft an einem solchen Tag schlecht gelaunt war, sagte er sich.
    Ein zischendes Geräusch lenkte seinen Blick auf die ausgelegte Ware. Schwarze Schlangen züngelten anstelle der Besenreiser. Ihre ölig glänzenden Leiber wanden sich um die Stiele. Ekelhaftes,
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