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Die Hexe von Salem

Die Hexe von Salem

Titel: Die Hexe von Salem
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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dein Vater sein Wissen über sie hat, Robert? Das meiste hat er von mir, wenn auch nicht alles.«
    »Mister Howard«, stammelte ich. »Ich …«
    »Hör mit diesem albernen ›Mister Howard‹ auf«, unterbrach er mich. »Howard ist mein Vorname. Ich heiße Howard Phillips Lovecraft, und für dich bin ich einfach nur Howard. Und jetzt erzähle von Anfang an. Wir haben viel Zeit.«
    Die Kutsche jagte mit halsbrecherischem Tempo durch die menschenleeren Straßen. Vom Bock her drang das Knallen der Peitsche beinahe ununterbrochen herein, untermalt von halblauten, ungeduldigen Rufen, mit denen der Kutscher seine Tiere zu noch größerem Tempo anzufeuern versuchte. Das Gefährt schwankte wie ein Boot auf stürmischer See, und die kaum gefederten Achsen gaben die Stöße und Knüffe der schlaglochübersäten Straße beinahe ungemildert an den Fahrgastraum weiter, sodass Andrew fast Mühe hatte, sich auf der schmalen Sitzbank aufrecht zu halten.
    »Alles in Ordnung?«, fragte sein Gegenüber.
    Andrew nickte instinktiv. Er hatte bisher keine Gelegenheit gehabt, seinen geheimnisvollen Retter naher in Augenschein zu nehmen oder sich auch nur bei ihm zu bedanken. Es war dunkel in der Kutsche; die schwarzen Vorhänge vor den beiden Fenstern waren zugezogen, und nur durch die kleine Luke, durch die man dem Fahrer Anweisungen zurufen konnte, sickerte noch etwas Licht in den Innenraum.
    Trotzdem war Andrew sicher, einer Frau gegenüberzusitzen, schon bevor er ihre Stimme hörte.
    Ihre Gestalt wurde vollends von einem schwarzen, in einer übermäßig groß erscheinenden Kapuze endenden Mantel verhüllt, aber sie war zu schmal und zu zierlich, und etwas an ihrer Haltung verriet ihm, dass es kein Mann war.
    »Es … geht«, antwortete er stockend. Er versuchte zu lächeln, aber es wurde eher eine Grimasse daraus. Das war Rettung in letzter Sekunde. Wenn Ihr Kutscher nicht gekommen wäre, Misses …«
    »Terry«, half seine Retterin aus, als er nicht weitersprach. »Nennen Sie mich einfach Terry. Das tun alle.« Sie lachte. Ihre Stimme war sehr hell.
    »Terry«, nickte Andrew. »Ich … ich danke Ihnen, Terry.«
    »Das war doch selbstverständlich.« Sie blickte ihn einen Moment unter ihrem Mantel heraus an, setzte sich dann auf und schlug die Kapuze mit einer raschen Bewegung zurück.
    Andrew unterdrückte im letzten Moment einen erstaunten Ausruf. Er hatte geahnt, dass sie jung war, und irgendetwas hatte ihm gesagt, dass sie schön sein würde – aber er hatte nicht geahnt, dass sie 50 Jahre jung war. Und so schön.
    Für einen Moment war er unfähig, zu sprechen oder irgendetwas anderes zu tun, als einfach dazusitzen und sie anzustarren. Sie war klein, so schlank, dass sie schon als zierlich gelten konnte, und hatte ein schmales, fast aristokratisch geschnittenes Gesicht, dem aber trotzdem ein schwer zu beschreibender Ausdruck von Natürlichkeit anhaftete. Ihr Haar war lang und glatt und fiel bis weit über die Schultern herab. Ein voller, sinnlicher Mund unter einer schmalen Nase, eingerahmt von zwei Grübchen, die ihr etwas beinahe Spitzbübisches gaben, und Augen …
    Für eine Sekunde hatte Andrew das Gefühl, sich im Blick dieser Augen zu verlieren. Sie waren groß, beinahe eine Spur zu groß, dunkelblau und von kleinen, goldenen Farbsprenkeln durchsetzt. Gelassen hielten sie seinem Blick stand und erwiderten die Neugier darin sogar.
    »Zufrieden?«, fragte Terry nach einer Weile.
    Andrew wurde sich plötzlich der Tatsache bewusst, dass er sie anstarrte. Verlegen senkte er den Blick, atmete hörbar ein und sah unsicher wieder auf. Einen Moment lang suchte er vergeblich nach Worten.
    Terry winkte ab, als er dazu ansetzte, sich zu entschuldigen. »Schon gut, Andrew«, sagte sie rasch. »Ich bin es gewohnt, angestarrt zu werden, wissen Sie.« Sie beugte sich leicht vor, und Andrew konnte ihr betörendes Parfüm riechen. Irgendwo tief, tief in ihm begann eine Alarmglocke zu läuten, aber er war unfähig, auf die Warnung zu hören.
    »Andrew …?« wiederholte er schwerfällig. »Ich … kennen wir uns? Ich habe meinen Namen nicht genannt.«
    Wieder lachte Terry. In ihren Augen blitzte es spöttisch auf. »Sie kennen mich nicht, Andrew«, sagte sie. »Aber dafür kenne ich Sie. Um so besser.« Andrew schüttelte verwirrt den Kopf.
    »Sie …«
    »Es war kein Zufall, dass wir uns getroffen haben«, flüsterte Terry. Irgend etwas in ihrer Stimme änderte sich. Andrew spürte ein seltsames, beinahe erschreckendes Gefühl in sich
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