Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris
Autoren: Judith Merkle-Riley
Vom Netzwerk:
der Galerie du Palais führte alle möglichen Utensilien, die Mutter benötigte: Haarfarbe, Wangenrot und nun einen neuen Duft mit einer besonderen Ingredienz, die im Zusammenhang mit Beschwörungsformeln die Trägerin unwiderstehlich machen sollte. An wem ließe sich das besser erproben als an mir, dachte ich. Es braucht nicht viel, um eine hübsche Person unwiderstehlich zu machen, aber ein häßliches Mädchen, das nicht richtig gehen kann und dürr und klein ist wie ein Affe – da könnte es seine Wirksamkeit beweisen. Also hatte ich mich damit besprengt und mich den Rest des Tages vor meiner Mutter versteckt.
    Zunächst war ich ins Turmzimmer gegangen, wo alte Kleider, von Mäusen zerfressene Kissen und reparaturbedürftige Möbel aufbewahrt werden, und hatte mein geheimes Buch hervorgeholt. Ich trug das Datum ein: 18. April 1671, und daneben: Unwiderstehliches Parfüm – Erprobung Numero 1. Danach schlüpfte ich für den Nachmittag aus dem Haus, was meiner Schwester niemals gestattet wurde; aber Vater bemerkte meine Abwesenheit nie, bis es an der Zeit war, über die Römer zu diskutieren. Und Mutter fragte nie nach mir; ich glaube gar, sie hoffte insgeheim, daß mir etwas zustoßen und ich nie zurückkommen würde. Für mich aber bedeutete die Vernachlässigung eine gewisse glückliche Freiheit, und durch mein ungezügeltes Aufwachsen mit den Dienstbotenkindern und verwahrlosten Lehrbuben, von denen es in der Nachbarschaft und im Hofe des Hauses Marmousets wimmelte, hatte ich gelernt, den Gassenjargon der unteren Klassen von Paris ebenso fließend zu sprechen wie die vornehme Sprache, deren meine Mutter und meine Schwester sich im Salon bedienten.
    Ich betrat die Rue des Marmousets, wie man in einen Fluß steigt. Ich ließ mich treiben und tauchte auf und ab in der Menge der Kaufleute und Straßenbengel, den kleinen Gruppen achtbarer Frauen, die, gefolgt von ihren beladenen Bedienten, Einkäufe machten, dem vereinzelten Advokaten oder Notar, der mit seiner Ledermappe unter dem Arm dem Palais de Justice zu eilte. Hier und da schaukelte eine Sänfte im Strom, dessen Insasse über die schwitzenden Rücken der Träger hinweg ins Weite starrte. Der Fluß vereinte sich mit der Hauptströmung, die sich in Richtung Pont-Neuf ergoß, und ich schlich unbemerkt, ein blasses, buckliges kleines Mädchen, das seitwärts humpelte wie ein Krebs, zwischen den Menschenmassen. Es war ein guter Tag für einen wissenschaftlichen Versuch; auf der Brücke drängten sich Bettler, Spieler, Straßenverkäufer um kleine Buden, wo billiger Tand und verbotene Schriften feilgeboten wurden.
    Als erstes erstand ich bei einem Verkäufer von frommen Traktaten, der die besten Sachen unter seinem Umhang verborgen hielt, eine höchst befriedigende libelle für Großmutter, ein Gelegenheitskauf, frisch aus Holland eingeschmuggelt, wo man die besten verbotenen Pamphlete druckte: »Das skandalöse Leben von Ludwig, König der Franzosen«, worin erklärt wurde, es sei nur natürlich, daß der König wiederholt das heilige Band der Ehe zerriß, sei er doch tatsächlich der natürliche Sohn des Kardinals Mazarin, der eine Affäre mit der Königin gehabt habe. Ich versteckte es natürlich, denn die Lektüre war nahezu so gesetzwidrig wie die Veröffentlichung oder der Verkauf, und gesellte mich zu der Menge der Zuschauer und Taschendiebe um eine improvisierte Bühne. Mehrere Schauspieler mit Masken plärrten schmutzige Witze, während ein Mann, der den Liebhaber der Ehefrau darstellte, dem gehörnten Ehemann eine Lederkeule über den Schädel hieb. Ich ging weiter, als Geld gesammelt wurde, denn ich hatte keins mehr. Ein Scharlatan mit einem zerbeulten Filzhut pries singend den Inhalt einer Kiste mit Arzneien:

»Pocken, Schüttelfrost und Pest
kurier' ich euch aufs allerbest'.
Leute kauft, seid klug und weise,
daß lange währ' des Lebens Reise.«

    Er hatte ein Äffchen an einer Leine, in Satin gekleidet wie ein kleiner Mann. Es kam zu mir, berührte mit seiner braunen Hand die meine und sah mich mit seinen traurigen, glitzernden Augen an.
    Fazit Numero 1: Das unwiderstehliche Parfüm zieht Affen an.
    Ich spürte ein Zupfen hinten an meinem Umhang. Ich zog ihn so eng um mich, daß die große Hand des Diebes mich wahrhaftig in die Luft hob. Aber ich ließ nicht los; ich schrie: »Hilfe, Mörder, Räuber!«
    »Gemach, gemach.« Ein junger Stutzer in einem kurzen Umhang mit mindestens einem Dutzend Bänderschleifen und einem breiten grauen Hut mit
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher