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Die Hexe von Paris

Titel: Die Hexe von Paris
Autoren: Judith Merkle-Riley
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geräumigen Schoß. Als ich nach einem kleinen Disput das Geld weggesteckt hatte, sah sie mich an und sagte: »Du bist ein merkwürdiges Mädchen. Genau wie ein altes Weib. Soll ich dir wahrsagen? Deine Mutter wird die paar Sous nicht vermissen.«
    »Ich glaube nicht an Wahrsagerei«, erwiderte ich.
    »Nein? Glaubst du denn nicht, daß Gott für jedermann Pläne hat? Möchtest du sie nicht erfahren?« Ihr Ton war schmeichelnd, als spreche sie zu einem dummen Kind und nicht zu einer etwas klein geratenen Philosophin.
    »Gott ist, um genau zu sein, nicht an einzelnen Fällen interessiert. Er ist der primum mobile, der die Naturgesetze schuf. Er erlaubt diesen Gesetzen, alleine zu wirken. Die Entdeckung der Abfolge von Ereignissen ist somit der geometrischen Analyse unterworfen. Gemäß des Engländers Harvey Entdeckung vom Kreislauf des Blutes –«
    »Mein Gott, du bist ein kleines Ungeheuer. Dann glaubst du wohl auch nicht an den Teufel?«
    »Natürlich nicht. Der Teufel ist eine Phantasiegestalt, die Priester erfunden haben, um die Unwissenden zu ängstigen.« Wie mein Vater verachtete ich abergläubische Weiber.
    La Vigoreux lachte. »Nicht lange, Kleine, und du wirst etwas anderes entdecken.«
    Hiernach schien es mir nur recht und billig, zwei Francs als meinen Anteil an den Löffeln, die Großmutter mir vererbt haben würde, einzubehalten. Als die Kutsche eingestellt war, ging ich zur Galerie du Palais, nicht weit von unserem Haus, und kaufte am Stand eines Schreibwarenhändlers ein weiteres kleines rotes Notizbuch. Er verkaufte mir zudem aus einer gut versteckten Schachtel eine vorzügliche libelle, für ihr Geld recht umfangreich, mit dem Titel »Die schauerlichen Geheimnisse der päpstlichen Giftmischer«. Hier waren im Detail sämtliche Methoden aufgezählt, deren sich die ehrgeizigen Italiener in alten Zeiten bedienten, um sich ihrer Rivalen zu entledigen, und es wurde erklärt, wie die italienische Königin sie nach Frankreich gebracht hatte. In Holland gedruckt, allerbeste Qualität. Ich kaufte sie für Großmutter.
    An diesem Abend schrieb ich in mein Büchlein:

    Aufwendung für Gedanken = 0
    Aufwendung für das Ausdrücken von Gedanken = 11 Sous (ein Notizbuch)
    Aufwendung für vorübergehende Unterbindung von Hauptmann Legrands Scharwenzelei = 18 Francs
    Schlußfolgerung: Nichts ist umsonst, nicht einmal die Liebe.
    Frage: Ist die Liebe mehr wert als Gedanken, da sie offenbar mehr kostet? Später lösen. Preisliste erstellen.

    Im Laufe des Sommers wurde Mutter immer unruhiger. Ihre Haare wurden gelblich, oft ging sie mit einer Schmiere von Seltsamer Farbe im Gesicht zu Bett. Vater ging häufig zum Palais de Justice, und das nicht nur, um Luft zu schnappen. Wenn er zurückkam, mochte er nicht einmal über die Römer sprechen. Onkel brummte und wütete und verschwand wochenlang in den Spielsälen des Palais im Marais. Mutters Mittwoch wurde spärlicher besucht, ungeachtet der Reize von Marie-Angélique, die von Schäferinnen handelnde beliebte Weisen darbot. Nur Großmutter war glücklich; sie saß im Bett und las wieder einmal von der Zerstörung von Sodom und Gomorrha.
    »Vergiß nicht, Geneviève, so werden die Ruchlosen bestraft. Mit Feuer und Schwefel.« Ihre kleinen schwarzen Augen blitzten vor Vergnügen, ihr Papagei krächzte: »Feuer! Feuer! Feuer und Schwefel!« und wippte mit seinem grünen Kopf.
    Nachdem Mutter die zuversichtlichen Verheißungen der kleinen Hutmacherin, die ihre Horoskope erstellte, erschöpft hatte, beschloß sie endlich, eine Spezialistin zu konsultieren. Sie verschaffte sich bei dem Parfümeur in der Galerie du Palais eine Referenz für die vornehmste Wahrsagerin von Paris. Und an einem heißen Augusttag in meinem zwölften Lebensjahr ließ sie die Pferde anschirren und fuhr mit uns beiden über den Pont-Neuf, an den Hallen und dem Cimetière des Innocents vorbei, an den äußersten Rand von Paris, unmittelbar unter den Festungswällen bei der Porte St. Denis. Wir gelangten in ein Viertel namens Ville-neuve-sur-les-Gravois, das hauptsächlich aus anmutigen, von großen Gärten umgebenen Villen bestand. Ungeachtet des schönen Ambientes lagen nahebei berüchtigte Bordelle und Spielsäle, die den Ruf der Nachbarschaft verunglimpften. Mutter hieß den Kutscher in der Rue Beauregard anhalten, wo wir eine maskierte Dame beobachteten, die aus einem Haus zu einer wartenden Kutsche schlich. Acht Pferde, Bedienstete in voller Livree. Die Malerei auf dem Wagenschlag sah von weitem
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