Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Hexe und der Leichendieb: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Helga Glaesener
Vom Netzwerk:
von den Knien. »Soll ich Euch eine Suppe rauftragen lassen?«, fragte sie mit unterwürfiger Stimme.
    »Ich hab doch gerad erst gegessen.«
    »Natürlich. Verzeihung, Herrin.« Josepha war bei der barschen Antwort zusammengezuckt. Seltsamerweise machte sie immer noch keine Anstalten, das Zimmer zu verlassen.
    »Du kannst gehen.«
    »Ja, Herrin.« Das Weib stand wie ein Denkmal. Was war los? Hatte Edith sie zum Spionieren geschickt? Oder sollte sie Sophie davon abhalten, ihr Zimmer zu verlassen? Weil draußen etwas geschah, das die Herrin der Burg nicht mitbekommen durfte? Das wäre genau Ediths Art!
    »Was ist?«, fragte Sophie ungeduldig.
    »Verzeihung, tut mir leid, Herrin, tut mir sehr leid, aber …« Josepha kam näher – und stieß plötzlich einen herzzerreißenden Jammerlaut aus. Sie fiel auf die Knie, umklammerte Sophies Rock und rieb mit den warzenbesäten Hände den Stoff. »Ihr müsst es sehen! Ihr müsst es Euch unbedingt anschauen, denn es ist …«
    »Was denn, um Himmels willen?«
    Josepha warf einen furchtsamen Blick über die Schulter, was lächerlich war, weil sich außer ihnen niemand im Zimmer befand. »Kommt mit mir. Ich bitt Euch! Ich werde es Euch zeigen.«
    Sophie jagte eine Gänsehaut über den Rücken. Was sollte dieses theatralische Gehabe? Andererseits: Endlich geschah einmal etwas. Gewöhnlich war sie nur von Wispern und verstohlenen Gesten umgeben wie ein Mensch in einem Zauberwald, der die Gefahren spürt, ohne dass sich eine greifen ließe. Was mochte das Weib ihr zeigen wollen? Vielleicht ging es nur um ein Malheur bei der Wäsche, vielleicht aber auch um etwas Interessantes.
    Entschlossen legte sie die Stickarbeit beiseite und folgte Josepha durch die beiden Stuben, den Saal und den Treppenturm ins Freie. Rechts von ihnen lag der Stall, in dem die Reittiere der Herrschaft untergebracht waren. Die Türen standen offen, und bis auf Sophies Stute, ein Geschenk ihres Vaters, war das Gebäude leer. Marsilius schien ausgeritten zu sein. Umso besser. »Wo willst du denn hin? Hinaus?«
    »Ihr müsst es Euch anschauen!«, wiederholte die Magd und warf erneut verstohlene Blicke über die Schulter, während ihre Holzpantinen den Schneematsch beiseitetraten. Nirgendwo war eine Menschenseele zu sehen. Das Gesinde arbeitete im Haus oder war anderweitig beschäftigt. Sie durchschritten das innere Tor und erreichten das äußere, das ebenfalls offen stand. Eigentlich war das nicht in Ordnung. Im Dezember hatten schwedische Truppen den Rhein überquert. Doch seit der Krieg ins Stocken geraten war und sich kaum noch Söldner in die Gegend verirrten, sparte man sich das umständliche Verriegeln des Tors und das Hochziehen der Brücke. Allerdings hielten zwei Männer auf dem Viertelturm beim Brandweiher Ausschau nach Feinden, und Jössele, der stämmige Torwächter, kauerte auf einem Schemel bei der Mauer, bereit, auf ihren Zuruf hin die Burg zu sichern.
    Er grüßte höflich, als Sophie an ihm vorbeischritt, und griff nach dem Kopf, als wollte er einen Hut ziehen, den er aber nicht trug. Möglicherweise ein Verbündeter, dachte Sophie – das muss man sich merken.
    Josepha, die vorausgeeilt war, hatte beim ersten Haus des Gesindedorfes innegehalten und wartete auf sie. Sophie blickte sich um. Sie musste an den Tag denken, an dem der Mörder aus der Burg geflohen war. Vor ihr lagen dasselbe Dorf und dasselbe bergige Umland, doch nun bot sich ein völlig anderer Anblick. Alles war schmutzig und düster. Es regnete zwar nicht, aber eine dunkle Wolkendecke schluckte das Sonnenlicht. Von den Strohdächern des kleinen Gesindedorfes tropften Schneereste, kleine Kinder warfen Steine in die Matschpfützen. Sie seufzte niedergeschlagen. Wenn nur erst der Frühling kommt, dachte sie.
    Josepha, die ihr ungeduldig zuwinkte, riss sie aus den Gedanken. Die Magd steuerte den Friedhof an, der seitlich des kleinen Dorfes am äußersten Ende des Bergrückens lag.
    »Was soll das?«, rief Sophie ihr nach. »Ich habe keine Zeit, die ich verplempern könnte. So rede doch endlich!«
    »Ja«, ertönte plötzlich eine giftig-seidige und nur allzu bekannte Stimme in Sophies Rücken, »die kleine Dame hat vollkommen recht: Rede doch, Josepha!«
    Sophie blieb stehen, als hätte sie eine Faust in den Magen getroffen. Ein Schauder voller Hass jagte ihr über den Rücken. Sie ballte die Hände, um nicht zu zittern, und drehte sich langsam um. Zufall oder Spioniererei – Edith war ihnen aus der Burg gefolgt. Marsilius’
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher