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Die Hexe und der Herzog

Die Hexe und der Herzog

Titel: Die Hexe und der Herzog
Autoren: Brigitte Riebe
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du mich überhaupt rufen lassen?«
    »Das werde ich dir sagen.« Sie war plötzlich sehr ernst geworden. »Ich möchte weder durch das Beil des Scharfrichters sterben noch jemals am Seil des Henkers baumeln. Ihnen allen diesen Anblick gönnen? Niemals! Nein, das wäre kein würdiges Ende einer Alma von Spiess. Du, mein Heinrich, wirst mich hier befreien.«
    »Wie stellst du dir das vor? Das will und das kann ich nicht.«
    Ihr Mund wurde schmal. »Doch, du kannst! Ich wusste zwar, dass du ein Feigling bist, Heinrich, ein Feigling wie die meisten Männer, denen ich bislang begegnet bin. Deshalb hab ich auch vorgesorgt. Die Wächter werden uns gehen lassen. Das Silber, das ich ihnen zukommen ließ, reicht aus, um noch ihre Enkel zu versorgen.«
    Kramers Augen brannten. »Mit dir fliehen? Niemals!«
    »Wer redet denn von Fliehen?«, sagte sie müde. »Du begleitest mich lediglich zum Inn. Das ist alles, was ich verlange. In seinen grünen Fluten werde ich versuchen, meinen Leopold wiederzufinden.«
    »Und weshalb sollte ich das tun?«
    »Sehr einfach«, sagte Alma. »Um mich für immer loszusein – und zugleich alle fleischlichen Sünden, die du mit mir begangen hast. Und mehr als das: Sobald die kalten Wasser des Inns sich über mir für immer geschlossen haben, gibt es keine Verdächtige mehr. Dann kannst du deine Hexenweiber bezichtigen, so viel und so lange du nur willst.« Sie hob den Arm, als wolle sie sein Gesicht streicheln. »Oder soll ich vor dem Herzog aussagen, wie wir beide damals …«
    »Schweig!«, schrie er und hielt sich mit schmerzverzerrter Miene die Ohren zu. »Kein einziges Wort will ich jemals wieder hören aus diesem sündigen Mund!«

     
    Als ein trüber Herbstmorgen in das Loch kroch, umarmten und küssten die Frauen Lena, und Bibiana zeichnete ihr das dreifache Kreuz auf Stirn, Mund und Brust.
    »Sie werden bei dir sein«, sagte sie, »die Ewigen Drei, die uns stets geschützt und gehalten haben. Bleib tapfer, mein Mädchen! Wir wissen alle, dass dir jetzt Schweres bevorsteht.«
    Auch aus der Nachbarzelle kamen aufmunternde Worte von Rosin und Barbara, während Wilbeth mit bewegter Stimme ein altes Gebet sprach.
    Lena hätte sich so gern mutig und standfest gefühlt, doch da war diese schreckliche Unruhe in ihr, die ihre Hände zittern ließ und dazu führte, dass sie nicht mehr ganz klar sehen konnte. Deshalb glaubte sie auch im ersten Moment, sich getäuscht zu haben, als die Wächter erschienen und die Zelle aufschlossen, sie aber nirgendwo Johannes’ schmale Gestalt erblickte.
    »Aber wo ist Doktor Merwais?«, stammelte sie, als man sie nach draußen zerrte. »Er muss mich doch begleiten!«
    »Der feine Herr Jurist wird wohl Besseres zu tun haben«, bekam sie als Antwort. »Und jetzt halt dein Maul, sonst werden wir uns überlegen, womit wir es am besten stopfen können!«
    Ein frischer Wind fuhr ihr unter das alte, viel zu weite Gewand, das sie hatte anlegen müssen, und die harten Holzschuhe scheuerten an ihren Füßen. Wie eine arme Sünderin, die zum Richtplatz geführt wird, kam Lena sich vor, und Tränen der Wut und Scham schossen in ihre Augen. Der Herzog, ihr Vater, ließ also zu, dass auf diese Art mit ihr verfahren wurde! Ihre Mutter hatte er mit Gewalt genommen, als sie noch ein halbes Kind gewesen war; wahrscheinlich würde er ebenso gefühllos zusehen, wie die Tochter gerichtet wurde.
    Als Lena merkte, dass der Weg nicht zum Rathaus führte, sondern dass sie in eine schmale Gasse einbogen, wuchs ihre Angst. Und wenn sie gar nicht zur Verhandlung gebracht wurde, sondern irgendwohin verschleppt, wo man ihr ohne großes Federlesen den Garaus machen würde?
    Sie blieb stehen, stemmte sich fest gegen den Boden. »Nicht einen Schritt gehe ich weiter, bevor ihr mir sagt, wohin der Weg führt!«, rief sie. »Und wenn ich keine vernünftige Antwort bekommen, dann schreie ich die ganze Stadt zusammen.«
    Ihr Gesichtsausdruck, vor allem aber ihr wilder Blick beeindruckten wohl die Männer.
    »Es hat gestern Unruhen gegeben«, sagte einer der Männer. »Wegen dir und deinen Hexenschwestern. Das Rathaus stürmen wollten sie sogar. Deshalb findet die Verhandlung heute in einem Privathaus statt. Gehst du jetzt endlich weiter?«
    Das klang nach Wahrheit, konnte aber ebenso gut eine Lüge sein. Lena ließ sich weiterzerren. Notfalls konnte sie immer noch laut schreien.
    Als sie vor einem Bürgerhaus mit schönen Laubengängen angekommen waren, wurde sie ein wenig ruhiger. Hier wohnte Conrad
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