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Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber

Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber

Titel: Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber
Autoren: Victoria Janssen
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fügte sie hinzu. Im gleichen Ton hätte sie das Frühstück bestellen können. Ihr Gesicht glich ihrem Porträt auf der Silbermünze, die er einst gesehen hatte: fein geschwungene Lippen und eine lange, gerade Nase. Aber aus der Nähe konnte er die sorgfältig überschminkten Rötungen an ihrem Kinn erkennen. Und die feinen strahlenförmigen Linien in ihren Augenwinkeln. Dicke silbrige Strähnen durchzogen das ebenholzschwarze Haar, das ihr weit über die Taille reichte. Ihre schimmernden Augen, die das kalte Grau des Winterhimmels hatten, füllten sich mit Tränen, die sie hastig fortblinzelte, sodass ihr Blick gleich darauf wieder wie kühles Metall war.
    Für einen Augenblick verlor er sich in einer seiner nachmittäglichen Fantasien, die manchmal über ihn kamen, wenn er mit zusammengekniffenen Augen in den im Sonnenlicht tanzenden Staub sah, der vom Heuboden herunterschwebte. Er würde sie retten und sie … sie würde ihn töten lassen, damit niemand wusste, was sie getan hatte. “M…Madame”, stotterte er. Ihrem Kleid entströmte der Duft teurer Gewürze, deren Namen er nicht kannte. Seine eigene Kleidung roch stechend nach Pferden, Leder und Schweiß. Die Zofe hatte ihm befohlen, seine schmutzverkrusteten Stiefel auszuziehen, und nun krümmten sich seine nackten schwieligen Zehen auf dem polierten Marmorboden.
    Die Herzogin trat einen Schritt zurück, und ihre Röcke fielen über ihre juwelenbesetzten Pantoffeln. “Wenn ich nicht binnen Jahresfrist einen Erben zur Welt bringe, muss ich sterben, damit mein Gatte sich problemlos eine andere Frau nehmen kann”, erklärte sie tonlos. “Erst werden sie mir den Kopf scheren und ihn mir dann abschlagen. Verstehst du? Antworte mir.”
    “J…ja.”
    “Ich kann dich nicht beschützen. Ich bin eine Frau, und die Wachen meines Mannes geben keinen Pfifferling auf meine Befehle.” Sie zögerte. “Wirst du mir dennoch diesen Dienst erweisen?”
    Für sie würde er es tun. Niemals hätte sie sich jemandem wie ihm gegenüber derart erniedrigt, wenn sie nicht wirklich seine Hilfe brauchte. Vor lauter Angst fühlte sich sein Mund ganz taub an, während er nickte und auf die Knie sank. Vergebens suchte er in ihrem blassen majestätischen Gesicht nach einem weiteren Anzeichen menschlicher Schwäche.
    Ihr blutrotes Kleid raschelte, als sie zur Tür eilte. Sie erinnerte ihn an die in einem Käfig eingesperrte Krähe, die im Stall gehalten wurde. Er kam wieder auf die Füße und folgte ihr. Sie hatte von ihm die Antwort bekommen, die sie wollte. Die Adeligen bekamen immer, was sie wollten. Es war ihr gutes Recht.
    Wie um alles in der Welt sollte er sich vor ihr ausziehen? Geschweige denn …
    Vor der Tür blieb sie stehen und bemerkte in einem Ton, als diskutierte sie ihre Kleiderwahl mit ihm: “Es ist das Beste, wenn wir es sofort tun. Heute Nacht wird mein Gatte nach mir schicken.”
    Henri nickte erneut. Was sollte er auch sonst tun?
    Die Herzogin öffnete die Tür einen Spalt breit und spähte hinaus. Sie flüsterte ihrer wartenden Zofe etwas zu, dann schloss sie die Tür wieder. Henri zuckte bei dem Geräusch zusammen. “Hier entlang”, sagte sie.
    Gehorsam folgte er ihr. Vor dichten roten Vorhängen, die mit Blumenranken in einem dunkleren Rot bestickt waren, stand ein zierlicher Holzstuhl mit rotem Samtbezug und gewölbten Armlehnen, die in geschnitzten Blumenornamenten ausliefen. Die Vorhänge verbargen eine weitere Tür. Henri erwartete, hinter dieser Tür Dunkelheit vorzufinden, doch in dem mit rotem Marmor ausgelegten Korridor brannten Bienenwachskerzen, die so dick wie sein Arm waren und einen süßen Duft verbreiteten. Sie standen in goldenen, wie überirdisch zarte Frauenhände geformten Wandleuchtern. Nie zuvor in seinem Leben hatte er so viele Kerzen gesehen. Wer zündete sie alle an? Wer beseitigte die Wachstropfen? An den Wänden waren mit üppigen Schnitzereien verzierte Ebenholzstühle aufgereiht, neben denen kleine Tische mit Marmorplatten standen. Er hatte keine Ahnung, welchem Zweck all diese Tische dienten, auf denen nichts stand.
    Die Herzogin rauschte durch den Korridor, ohne den Blumengemälden in ihren vergoldeten Rahmen und den Wandteppichen, auf denen blühende Gärten, vornehme Damen und wohlgenährte Babys zu sehen waren, auch nur einen Blick zu gönnen. Ebenso wenig beachtete sie die weiße Marmorbüste des Herzogs, dessen Augen einerseits blind zu sein und andererseits alles zu bemerken schienen. Am liebsten hätte Henri die Lider
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