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Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber

Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber

Titel: Die Herzogin, ihre Zofe, der Stallbursche und ihr Liebhaber
Autoren: Victoria Janssen
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einem Höfling, der zu einer Abendgesellschaft ritt. In ihrem von silbrigen Strähnen durchzogenen Haar steckten blutrote geschliffene Rubine; weitere Rubine hingen in Form roter Weintrauben an ihren Ohrläppchen. Sie starrte ihn mit ihren hellen Augen an, und die Intensität ihres Blicks lähmte ihn. Henri wurde selten von jemandem wahrgenommen. Von der Herzogin bemerkt zu werden war wie ein Schlag in die Magengrube.
    Sie hatte ihn früher schon bemerkt. Als er noch ein Junge gewesen war, hatte sie ihn von ihren eigenen Reitlehrern unterrichten lassen, damit er ihre Pferde trainieren konnte, wenn sie keine Zeit dazu hatte. Und ein einziges Mal hatte Henri ihr seine Hände als Steigbügel hinhalten dürfen, damit sie in den Sattel steigen konnte. Damals war er ungefähr fünfzehn gewesen. Noch immer erinnerte er sich an den goldfarbenen Absatz ihres Reitstiefels aus weichem Leder, der unter einem üppig bestickten Rocksaum hervorlugte. Er hatte damals Angst gehabt, den Blick zu heben, während sie ihm eine Kupfermünze gab. Nur wenige Wochen später wurde ihr verboten zu reiten – es ging das Gerücht um, weil sie im Herrensitz ritt, könne sie dem Herzog keinen Erben gebären. Dabei hatte sie nicht einmal ein Mädchen zur Welt gebracht.
    Inzwischen war sie vierzig und vermutlich über das gebärfähige Alter hinaus, daher konnte es ihr wahrscheinlich nicht mehr schaden, wenn sie wieder mit dem Reiten anfing. Vielleicht hatte sie ihrem Mann die Erlaubnis abgetrotzt. Henri erinnerte sich, wie sie die Hälse ihrer Pferde gestreichelt und ihre Stirn gegen die der Pferde gelehnt hatte. Er hatte sie oft beobachtet. Er wusste, dass sie ihre Pferde liebte, und aus diesem Grund liebte er sie. Pferde blickten hinter die Fassade der Menschen. Ein einzelnes Pferd konnte vielleicht sogar einen grausamen Menschen lieben, aber so viele Pferde konnten sich nicht irren. Henri hatte ihre Pferde geritten und jedes von ihnen vertraute ihm vollkommen. Er hatte auch ein oder zwei der Jagdpferde des Herzogs geritten; das hatte ihn gelehrt, dass der Herzog linkisch war und die Körpersprache der Tiere nicht verstand, denn die Pferde reagierten steif und verschreckt auf ihn. Im Gegensatz dazu bewegten sich die Pferde der Herzogin wie Seide.
    “Deine Ähnlichkeit mit meinem Mann dürfte groß genug sein”, stellte die Herzogin fest. “Du kämst also in Frage.”
    Er verstand sofort, was sie meinte. Die Gerüchte, die man überall hörte, entsprachen also der Wahrheit. Henri schwieg; ein falsches Wort, und sie stellte ihn womöglich auf dem Marktplatz an den Pranger, wo er mit vergammelten Früchten und Steinen beworfen wurde. Aber er konnte auch nicht weglaufen, denn die Herzogin hatte ihn zu sich befohlen. Sie hatte ihn rufen lassen, und er hatte nicht die Flucht ergriffen, wie es jeder vernünftige Mensch tun würde, wenn die Herrschaften ihm allzu viel Beachtung schenkten. Wenn sie ihm nur egal wäre. Wenn es ihn nur nicht kümmern würde, ob sie einem Erben das Leben schenkte oder ob sie ihr Versagen mit dem Leben bezahlen musste.
    In diesem Empfangszimmer war er mit ihr allein. Falls er von irgendjemandem außer ihrer treuen Zofe mit der Herzogin allein gesehen würde, war ihm der schlimmste aller Tode gewiss. Soweit er wusste, war es der Herzogin nicht erlaubt, in Abwesenheit ihrer Eunuchen, die ihr als Leibgarde dienten, Männer zu treffen. Es sei denn, ihr Gatte, der Herzog, war dabei. Henri starrte noch angestrengter auf das in den Marmorfußboden eingelassene Medaillon aus rotem Porphyr. Die Sauberkeit und der Luxus, die ihn hier umgaben, ließen seine Knie weich werden. Seine Hoden zogen sich zusammen. Vermutlich war er bereits dem Tode geweiht. Dabei hatte er nichts Falsches getan. Außer der Zofe der Herzogin zu gehorchen, die ihn hierher geführt hatte wie das liebste Reitpferd ihrer Herrin.
    “Bursche? Verstehst du, was ich als deine Herzogin von dir verlange? Ich weiß, du verstehst einiges von der Pferdezucht. Daher solltest du für diese Aufgabe mehr als geeignet sein.” Ihre Stimme war leise, aber befehlsgewohnt. Es war unvorstellbar für ihn, sich ihren Worten zu widersetzen.
    Sie stellte sich direkt vor ihn, und er zuckte zurück. Erwartete sie eine Antwort? Sein Hals fühlte sich an, als wäre er mit Heu verstopft. Dann geschah das Undenkbare – sie berührte ganz leicht sein Haar.
    “Heb den Kopf.”
    Zitternd gehorchte er, als wäre er ein gezäumtes Pferd und sie hätte an den Zügeln gezogen.
    “Bitte”,
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