Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht

Titel: Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht
Autoren: Uwe Klußmann
Vom Netzwerk:
demonstriert der Zar selbst in seinem Privatleben, wie eng er das Schicksal der Russen mit den Völkern des Kaukasus verbunden sieht. Verwitwet nach dem Tod seiner ersten Frau, einer Russin, heiratet er 1561 die Tochter eines kabardinischen Fürsten. Die Kaukasierin nimmt den orthodoxen Glauben und den Namen Marija an. Ihrem Mann erteilt die Zarin hilfreiche Ratschläge, etwa zum Aufbau einer Wache nach dem Vorbild kaukasischer Bergfürsten. Mit der Herrschaft über Tataren, Baschkiren und Kaukasier wird das Zarenreich zum Vielvölkerstaat. Damit dieses Land sein Gewicht als Großmacht in Europa einbringen kann, braucht es Zugang zu Ostseehäfen. Das Baltische Meer bietet die Handelswege in die entwickelten Länder Mittel- und Nordeuropas. Deren technischer Fortschritt fasziniert den Zaren. Iwan beauftragt den Handelsagenten Hans Schlitte aus Goslar, in Deutschland Glockengießer, Goldschmiede, Ärzte und Papiermacher anzuwerben. Schlitte versammelt 123 Spezialisten, die bereit sind, in Moskau zu arbeiten. Doch Lübecker Ratsherren, die russische Konkurrenz fürchten, vereiteln die Abreise der Delegation. Schlitte wird in Lübeck verhaftet.
    Den Weg zum Ostseehandel bahnt sich der Zar militärisch. 1558 stürmen russische Truppen die Hafenstadt Narwa, bisher beherrscht vom Livländischen Orden. Der kriselnde Ordensstaat kann den Angreifern nur wenig Widerstand entgegensetzen. Zeitweilig beherrschen die Russen das heutige Estland und den Norden des heutigen Lettlands. Doch es gelingt Iwan nicht, das lettische Riga und das estnische Reval (heute: Tallinn) einzunehmen. Während jahrelanger Kämpfe zeigt sich, warum der Oberbefehlshaber in den eigenen Reihen kaum weniger gefürchtet wird als vom Feind. 1563, bei einem Heerzug durch Weißrussland, erschlägt der jähzornige Herrscher den Fürsten Iwan Schachowskoi im Streit mit einer Keule.
    Der Krieg an der Ostsee bringt dem Zaren keinen dauerhaften Sieg. Der Ordensstaat löst sich 1561 auf und unterstellt sein Gebiet dem Schutz von Schweden, Litauen und Polen. Gegen das 1569 mit Polen vereinte Litauen und dessen schwedische Verbündete zieht sich der Livländische Krieg in die Länge. Ausländische Chronisten vermerken erstmals, wie zäh und tapfer russische Soldaten kämpfen. In einem Friedensschluss 1582 muss Iwan auf Livland einschließlich Narwa verzichten, Russland verliert seinen einzigen Ostseehafen. Während dieses Krieges, der die Kräfte Russlands ebenso auszehrt wie die seines Zaren, erlebt Iwan seine bitterste Enttäuschung. Fürst Andrej Kurbski, der mit ihm Kasan erobert hatte, sein enger Vertrauter und Statthalter in Livland, wechselt Ende April 1564 bei Dorpat die Fronten. Mit ihm ziehen Anhänger und Untergebene. Polens König Sigismund II. August beschenkt den Überläufer mit großen Ländereien. Schließlich führt Kurbski polnische Truppen gegen die Russen in den Kampf.

Iwan IV., »der Schreckliche«, im Zaren-Ornat
    (Gemälde von 1897)
    A. KOCH/INTERFOTO

In Briefen an den Zaren beklagt der Abtrünnige dessen gewalttätiges Regiment. Iwan wiederum wirft Kurbski vor, er habe ihn wegen materieller Vorteile verraten und »des Leibes wegen die Seele vernichtet«. Die »Selbstherrschaft« des Zaren, so Iwan, sei nun einmal »nach Gottes Ratschluss« gegründet. Eindringlich beschreibt der Monarch, wie er seine Aufgabe versteht: »Und immerdar geziemt es den Herrschern, umsichtig zu sein: hier sehr milde, dort grimmig; für die Guten Gnade und Milde, für die Bösen Grimm und Pein. Wenn er aber das nicht hat, so ist er gar kein Zar; denn der Zar ist nicht in den guten Werken, sondern den bösen zu fürchten.« Die Affäre Kurbski macht aus Iwan IV. endgültig Iwan Grosny, den »Gestrengen«, den man im Westen bald »den Schrecklichen« nennen wird. Dass er sich die Bojaren zu Feinden auf Lebenszeit gemacht hat, weiß der Potentat schon lange, spätestens seit einer schweren Erkrankung im Jahre 1553. Da zögern angeblich viele Fürsten, die Bitte des Zaren zu erfüllen, seinem kleinen Sohn Dmitrij die Treue zu schwören – um dem Zaren die Erbfolge zu sichern, falls er stirbt. Der Fall Kurbski zeigt aus Sicht des Selbstherrschers, dass die Bojaren sogar potentielle Landesverräter sind, bereit, sich an ausländische Feinde Russlands zu verkaufen.
    Ein halbes Jahr danach, im November 1564, entschließt sich der Zar zu einem dramatischen Schritt. Er ruft Bojaren und Geistliche im Moskauer Kreml zusammen. In einer Rede klagt er über Untreue und Verrat.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher