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Die Herren der Zeit

Die Herren der Zeit

Titel: Die Herren der Zeit
Autoren: Helmut W. Pesch
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ständige Antwort am heutigen Abend zu werden. »Mit meiner Dissertation geht es gut voran«, beeilte er sich zu versichern. »Ich habe schon vieles Neue über die frühe Geschichte des Ffolks herausgefunden. Ich bin da nur auf der Suche nach einem bestimmten Buch, das irgendwie verloren gegangen sein muss …«
    In diesem Augenblick pochte es an der Tür.
    Im ersten Moment glaubte Kim, er habe sich verhört. Doch als er sah, wie Marina Anstalten machte, aufzustehen, um zu öffnen, löste er sich von der Wand, an der er lehnte.
    »Bleib sitzen«, sagte er. »Ich gehe schon.« Erneut hallten die Schläge durch das Haus, als Kim durch die Halle eilte.
    »Ja, ja«, rief er, »ich komme!«
    Ein Windstoß trieb einen Regenschauer herein, als er die Tür aufriss. Unwillkürlich kniff er die Augen zusammen. Als er sie wieder öffnete, bot sich ihm ein Bild, wie es noch nie in Elderland zu sehen gewesen war.
    Vor ihm stand in einem Halbkreis etwa ein Dutzend Gestalten. Die einen waren hochgewachsen, ihre Gesichter waren fahl und schienen von innen heraus zu leuchten. Sie hatten weder Augen, Nasen, Münder noch Ohren, und doch bewegten sie sich, als sähen sie alles um sich her. Sie waren in lange, glitzernde Gewänder gekleidet, die nicht erkennen ließen, was sich darunter verbarg, doch an ihren Bewegungen war etwas seltsam Unmenschliches.
    Die anderen, klein und gedrungen, waren schwärzer als die Nacht. Ihre Gesichter und Gliedmaßen waren grob geformt, aber deutlich vorhanden, so als habe ein Kind sie aus Lehm gebildet und als seien sie noch nicht ganz fertig ausgewachsen. Ihre Schwärze schien die Dunkelheit ringsum anzuziehen, doch der Lichtschein, der aus der Tür fiel, spiegelte sich auf ihren Leibern und zeigte, dass sie mehr Substanz waren als bloße Schatten.
    Doch die seltsamste Gestalt von allen stand in ihrer Mitte.
    Sie war klein und gedrungen. Gekleidet war sie in Silber und Kristall, das bei jedem Windhauch klingelte und klirrte. Auf ihrem Haupt war eine Krone, aus reinstem Echtsilber geformt, geschmückt mit Diamanten und Rubinen. Und an seiner Hand war ein goldener Ring mit einem violetten Stein wie aus Amethyst.
    Doch das Gesicht das Wesens stand in krassem Gegensatz zu der äußeren Pracht. Die Augen glubschten groß in faltigen Lidern. Der Mund war breit und grinsend. Die Ohren standen vom Kopf wie Fledermausflügel. Und dort, wo der Hals ansetzte, blähten sich rotgeäderte Kiemen.
    »Willkommen, König der Gnome«, sagte Kim förmlich und dann: »Wie geht’s, Gwrgi?«
    Gwrgis Grinsen verbreiterte sich. »Nass hier draußen. Darf Gwrgi reinkommen? Und Gefolge auch?«
    Auch Kim musste grinsen, als er Gwrgi so reden hörte wie in alten Zeiten. »Komm rein. Kommt alle rein!«
    Er bemühte sich, nicht allzu genau hinzuschauen, als die hellen und dunklen Geschöpfe aus dem Gefolge des Gnomenkönigs durch die Tür defilierten. Schließlich obsiegte doch seine Neugierde.
    »Die Gnome kenn ich«, sagte er zu Gwrgi, »aber die anderen hier, die Dunklen. Sind das die Schatten aus den Tiefen von Zarakthrôr?«
    Gwrgi nickte, so gut er es vermochte. »Ja«, sagte er. »Alle anderen haben sie verstoßen. Sie waren allein in der Dunkelheit; ich weiß, wie das ist. Darum bin ich zu ihnen hingegangen und habe ihnen Namen gegeben, wie sie es wollten. Jetzt gehören sie zu mir. Sie stellen keine Gefahr mehr dar.«
    »Das … das finde ich großartig. Ich …« Kim stockte. In den wenigen Worten, die Gwrgi gesprochen hatte, lag eine ganze Geschichte, die, wie so viele, nie mehr erzählt werden würde. Dann merkte er, dass Gwrgi ihm gar nicht mehr zuhörte. Etwas anderes nahm seine Aufmerksamkeit in Anspruch, schlug ihn völlig in Bann. Kim wandte den Blick.
    Ithúriël stand in der Tür, die von der Halle ins Innere des Hauses führte. Ein Licht umstrahlte sie, das von überall und nirgends her zugleich zu kommen schien. Sie stand da, jung und rein wie der erste Morgen, und plötzlich wusste Kim, wie es den Elben an den Wassern des Erwachens ergangen sein musste, als sie zum ersten Mal der Göttin ansichtig wurden, im Anbeginn der Welt.
    Die dienstbaren Geister ringsum beugten das Haupt. Gwrgi stand da wie erstarrt.
    »Herrin«, stammelte er, »wollt Ihr mit mir gehen, damit ich Euch die Wunder meines Reiches zeigen kann, und sei es nur für eine kurze Weile?«
    Sie trat auf ihn zu und nahm seine Hände. »Ich werde dir überallhin folgen, wohin du mich auch führst, bis an das Ende aller Zeiten.«
    Seine großen Augen
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