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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
Autoren: Gernot Gricksch
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schöne Stimme. Mehrere Fernsehkameras sind auf ihn gerichtet, unzählige Handys und Fotoapparate blitzen unentwegt.

    Ich wollte für meine Geburtstagsfeier eigentlich eine Kneipe mieten, vielleicht eine Band engagieren, die die ollen Hits spielt. Den Soundtrack meines Lebens, zu dem wir dann alle hätten tanzen können. Stattdessen sind wir hier in dieser Wohnung. Wir sind nervös, aber auch zu allem entschlossen. Ständig klingeln das Telefon und die Handys. Reporter rufen an. Das Blaulicht der Polizeiwagen unten auf der Straße veranstaltet eine Lightshow in den Zimmern.
    Jegor hat sein Lied beendet. Die Leute applaudieren und johlen und stimmen schon wieder einen Sprechchor an. Ich bin ihnen so dankbar. Sie sind alle auf unserer Seite. Wir haben uns das nicht ausgesucht. Wir wollen gar nicht hier sein. Aber die Umstände haben uns dazu gezwungen. Es geht schließlich um ein Menschenleben.
    Ich weiß nicht, ob die Welt wirklich immer schlimmer wird, ob die Menschen tatsächlich immer gröber und kaputter werden. Vielleicht bin ich auch bloß ein alter Mann geworden und habe in den Früher-war-alles-besser-Modus geschaltet, den ich bis vor kurzem an alten Männern immer so furchtbar gefunden habe.
    Und es war ja weiß Gott nicht nur Schreckliches, das ich in den letzten zehn Jahren erlebt habe. Da war auch Liebe, sehr viel Liebe sogar, und Spaß und herrliches Chaos und viele kleine magische Momente und reichlich Kinderlachen. Und da waren nicht nur einsame und gebrochene Menschen, sondern auch Träumer und Kämpfer und Abenteurer.
    Da war so viel. Und all das ist heute – wundersamerweise an meinem Geburtstag – zusammengekommen. Heute sind sie da. Alle! Und wir riskieren alle verdammt viel für das, woran wir glauben. An das Recht auf Glück!
    Der Russe unten auf der Straße hat mit einem neuen Lied begonnen, doch er singt nur ein paar Takte. Dann ist abrupt Schluss. Irgendjemand hat die Tonanlage ausgeschaltet, die Rückkopplung eines Megaphons quietscht.
    »Hier spricht die Polizei!«, ruft eine knarzige Stimme zu uns hoch. »Dies ist die letzte Warnung. Sie haben fünf Minuten, um …«
    Ich höre nicht hin. In meinen Ohren rauscht es. Ich schaue die Kirschkernspuckerbande an. Dille, Petra, Sven und natürlich Susann. Meine geliebte Susann. Jörn hält Peggy im Arm. Sven stellt sich neben sie. Er streicht Peggy über den Kopf, sie schaut Sven an. Er lächelt, irgendwie entschuldigend, und Jörn nimmt Svens Hand. Adze hält Anita. Lucy greift zu ihren Zigaretten, überlegt es sich dann aber anders und steckt sie wieder ein. Ihr Polizist, dessen Namen ich mir einfach nicht merken kann, obwohl ich ihn total nett finde, nickt uns ermutigend zu. Das sind meine Kumpel da draußen, sagt sein Blick. Die werden uns schon nichts tun.
    Wir lächeln uns tapfer und nervös zu. Wir können jetzt nicht aufgeben. Wir können es einfach nicht!
    Keiner sagt etwas. Die Minuten verstreichen. Qualvoll langsam. Wir haben keine Ahnung, was als Nächstes passieren wird. Es ist nicht so, als hätten wir einen Plan. Wir sind einfach nur verzweifelt. Die Polizisten werden die Wohnung vermutlich nicht mit Maschinengewehren im Anschlag stürmen, als wären wir Terroristen. Es wird keine Schussgefechte geben. Wahrscheinlich wird die Polizei aber die Tür aufbrechen. Und dann? Dann könnten wir gar nichts tun. Dann müssten wir Peggy gehen lassen, und ihr Schicksal wäre besiegelt. Obwohl die Öffentlichkeit größtenteils hinter uns steht, obwohl niemand, selbst unsere Gegner nicht, uns unterstellt, dass wir schlechte Menschen sind und nicht nur das Beste im Sinn haben, so verstoßen wir doch gegen ein halbes Dutzend Gesetze. Mindestens. Eigentlich haben wir keine Chance.
    Doch dann passiert es. Gerade als der Einsatzleiter unten erneut etwas in sein Megaphon quakt und die Leute beginnen, ihn auszubuhen und erneut Sprechchöre zu unseren Gunsten anzustimmen, während alles in furchterregender Unruhe auf ein zweifelsohne bitteres Ende zusteuert – da löst sich Peggy aus Jörns Umarmung und erhebt sich. Wir schauen stumm und erstaunt zu, wie das kleine Mädchen zum Fenster geht, kurz zögert und es dann öffnet.
    Irgendjemand unten auf der Straße sieht sie und ruft etwas. Es wird still. Alle starren zu Peggy hinauf. Gespannt, fasziniert, fast ehrfürchtig. Weil alle von diesem Mädchen gehört haben, weil alle ihr Foto in den Zeitungen gesehen haben, weil niemand sie aber bislang leibhaftig zu Gesicht bekommen hat. Weil jetzt da oben
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