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Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)

Titel: Die heldenhaften Jahre der Kirschkernspuckerbande: Roman (German Edition)
Autoren: Gernot Gricksch
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Eichhörnchen. Die Sonne schien. Und sie könnte ewig in diesem Wald bleiben. Mit den Menschen, die sie liebte.
    * * *
    Nele war überrascht. Sie hatte gedacht, so eine Fernsehaufzeichnung wäre wie eine Liveshow, nur dass da eben Kameras mitliefen. Tatsächlich aber war es Stückwerk. Wenn etwas schieflief, wurde die Aufnahme unterbrochen und wiederholt. Einmal durfte eine Sängerin dreimal neu anfangen, weil sie am Anfang vor lauter Aufregung die Töne nicht traf. Vor der Sendung hatte so ein nerviger Typ dem Publikum gesagt, dass es ganz viel jubeln und johlen solle, und derselbe Typ stand nun außerhalb des Kamerabereichs und signalisierte den Zuschauern in regelmäßigen Abständen, wann sie rufen oder lachen oder aufspringen sollten. Das Ganze war ein einziges Schmierentheater, nichts war spontan und alles manipuliert. Doch das war Nele völlig egal. Sie war nicht hier, weil sie für einen der Stars schwärmte, sondern weil sie einen der Stars brauchte, um das glückliche Leben eines kleinen Mädchens zu beschützen.
    Nele hatte sich einen Platz in der zweiten Reihe erkämpft. Sie hatte allerdings keine Ahnung, was sie tun sollte, um Jegors Aufmerksamkeit zu erregen. Die Sänger und Sängerinnen befanden sich in ihren Garderoben und würden nach der Aufzeichnung womöglich schnell wieder verschwinden. Nele hoffte, dass Jegor seinen Fans Autogramme geben würde. Sie hatte beobachtet, dass etliche Mädchen kleine Autogrammbücher und Fotos von Jegor in der Hand hielten. Einerseits konnte sie sich nicht vorstellen, dass der abweisende Junge, den sie kannte, freundlich lächelnd seinen Namen auf Autogrammkarten kritzeln würde, andererseits schien Jegor immer auch darunter gelitten zu haben, dass niemand ihn mochte. Speziell die Mädchen nicht. Vielleicht würde er es genießen, endlich einmal angehimmelt zu werden. Hoffentlich! Denn es war Neles einzige Chance.
    Jegor war einer der Favoriten der Show, und so fand sein Auftritt erst ziemlich spät statt. Ungeduldig hatte Nele etliche Gesangsdarbietungen und dumme Jurykommentare erduldet, bis der Junge, dem sie einst im Sandkasten eine Schaufel über den Kopf gehauen hatte, endlich die Bühne betrat. Das Publikum applaudierte wie verrückt. Auch Nele klatschte. Und dann sang Jegor. Er sang ein Lied, das Nele nicht kannte, das ihr aber zu Herzen ging. Es hieß »Wonderful Tonight« und war eigentlich von einem Typen namens Eric Clapton. Wahrscheinlich eine dieser Musikmumien, die ihr Vater so gern hörte. Es war ein Liebeslied, und Jegor sang es so sanft und traurig und voller Hingabe, dass Nele gut verstehen konnte, warum die Mädchen im Publikum ihn so unwiderstehlich fanden. Kannte man nur diese Seite von Jegor, schien er der liebevollste und romantischste Junge der Welt zu sein. Außerdem sah er gut aus, blass und edel und schlank und verträumt. Wie einer dieser Typen aus den Vampirfilmen, die Neles Klassenkameradinnen so gern guckten.
    Und dann, ganz plötzlich, brach Jegors Stimme. Ein falscher Ton. Ein Stolpern. Und dann nichts mehr. Die Musik vom Band lief weiter, doch Jegor senkte das Mikrophon und … starrte Nele an! Sie saß nur wenige Meter von ihm entfernt. Als er sie gesehen und erkannt hatte, hatte ihn das völlig aus dem Konzept gebracht. Er starrte Nele an, und die hob verlegen die Hand und lächelte ihn an.
    »Hallo, Jegor!«, sagte sie.
    Und Jegor, der niemals lächelte, niemals den Anschein erweckt hatte, dass die schöne Seite des Lebens ihn berühren könnte, strahlte über das ganze Gesicht. Er senkte das Mikrophon und sagte zu Nele: »Hey.« Dann ließ er das Mikro einfach fallen und ging zu ihr.
    Mindestens fünfzig Mädchen im Publikum rutschte das Herz zu Boden, als sie erkannten, was sie da sahen: Der Junge, für den sie schwärmten, war in eine andere verliebt.
    Doch der magische Moment hielt nicht lange an. Sofort kamen Aufnahmeleiter und Assistentin angerannt und versuchten, die Show wieder zum Laufen zu bringen. Sie hielten Jegor auf. Ein Mann kam zu Nele und sagte: »Es ist wohl besser, wenn du jetzt gehst.«
    Nele rief Jegor zu: »Jegor! Bitte! Komm her!«
    Der ganze Saal hielt den Atem an. Das war spannender als jedes inszenierte Mätzchen in der Show. Das begriff endlich auch der Regisseur, der dem Aufnahmeleiter über dessen Kopfhörer mitteilte, dass man Nele festhalten solle und dass er mit ihr reden und diesen Moment in der Show haben wolle.
    So kam es, dass Nele eine Stunde später in Jegors Garderobe saß, zusammen mit dem
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