Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die heimliche Päpstin

Die heimliche Päpstin

Titel: Die heimliche Päpstin
Autoren: Frederik Berger
Vom Netzwerk:
sich ihr Körper wie im Tanz.
    Als ihre Amme, Kinderfrau und Lehrerin durfte ich Marozia nur selten verlassen, blieb ihre Vertraute und Beraterin in allen Lebenslagen, und gleichwohl stellt sie für mich bis heute ein Rätsel dar – das Rätsel der Sphinx? Die Liebe ist kein Instrument der Erkenntnis; vielleicht hat sie mich verblendet. Hätte ich Marozia nicht oft genug verurteilen müssen? Und doch ist sie Teil meines Herzens – nie werde ich aufhören, sie zu lieben, was immer auch geschieht.
    Wer Marozia angeschaut mit Augen, ist der Sehnsucht schon anheimgegeben, dichtete einst Alexandros, wen der Pfeil der Schönen je getroffen, ewig währt für ihn der Schmerz der Liebe – welch prophetische Worte!
    Nein, ich werde sie nie verurteilen.
    Neigen wir nicht ohnehin dazu, der Schönheit, gepaart mit Liebreiz, alles zu verzeihen? Erschreckt sie uns nicht zugleich, weil wir befürchten, daß ein Gott sich rächen wird mit Aussatz und Verfall? Bereits die griechischen Götter waren neidische Wesen; der christliche Gott übertrifft sie noch an herrischer Eifersucht. Gelegentlich denke ich, so wie Marozia sah Lilith aus, Adams erstes Weib, das Zauberwesen, das in die Hölle gestürzt wurde, um als Nachtgespenst, als Todesengel wieder aufzuerstehen.
    Während ich schrieb, hatte sich Marozia erhoben, war vor der Wand stehengeblieben und zog mit einem Finger langsam eine Linie durch den Schimmel, der auf den schweren Quadern blühte. Schließlich wandte sie sich mit einem Ausdruck tiefen Bedauerns von der Kerkerwand ab und suchte meinen Blick.
    »Weißt du, an wen ich denken muß?« fragte sie und wartete auf keine Antwort: »An deinen Alexandros, meinen Geliebten –«
    Hatten sich meine Gedanken auf sie übertragen? Hatte sie einen Blick auf das Pergament geworfen und seinen Namen entziffert, obwohl sie Griechisch kaum lesen kann?
    »Er hätte mich bis zum letzten Atemzug verteidigt. Wäre er in Rom geblieben …«
    »… hättest du ihn wahrscheinlich längst geheiratet, ich weiß«, fiel ich ihr ins Wort, selbst erschrocken über meinen barschen Ton.
    Marozia blickte mich erstaunt an. »Ich hätte vor allem nicht Albericos Vater geheiratet.« Als wäre ihr eine Erkenntnis gekommen, unterbrach sie sich und schaute auf ihre Hände. »Ich habe in dem Sohn tatsächlich zu sehr den Vater gesehen. Er sah ihm ja auch so ähnlich: diese Löwenmähne und dann die beiden Grübchen auf den Wangen … Wäre Alexandros nicht spurlos verschwunden, hätten wir seine Söhne aufziehen können, und alles wäre gut geworden.«
    Ich starrte in eine Kerze, schwieg. Sie belog sich selbst; sie weiß genau, daß ihre Mutter Theodora eine Vermählung mit dem Sohn einer Sklavin nicht zugelassen hätte. Alles, was ihre Mutter tat, sollte Macht und Einfluß der Familie vergrößern – was bedeutete da schon die Liebe von Kindern!
    »Ein Meer von Tränen haben wir um Alexandros vergossen«, fuhr Marozia nachdenklich fort, »aber keine Träne hat die Trauer um ihn gelindert. Ich mußte mich ablenken, wollte ihn vergessen und mein Heil anderswo suchen – und dennoch verging kaum eine Nacht, in der ich nicht von ihm träumte … Weißt du das eigentlich?«
    Nein, ich wußte es nicht und erwiderte nichts auf ihre Frage.
    »Er streckt mir seinen Arm entgegen; wenn ich ihn ergreifen will, verwandelt sich sein Gesicht in eine abstoßende Fratze, und eine unsichtbare Macht zieht mich zurück. Kannst du mir sagen, warum er sich plötzlich verändert, welche Kraft mich daran hindert, seine Hand zu ergreifen, mich an seine Brust zu werfen und sein wahres Gesicht zu ertasten?«
    Sie hielt inne und zog einen zweiten Strich durch den Schimmel, betrachtete dann ihren verschmierten Finger. »Warum ist er nicht längst nach Rom zurückgekehrt? Meine Mutter hat er doch seit Jahren nicht mehr zu fürchten. Nie werde ich ihr verzeihen, daß sie ihn davongejagt hat, als ich ihn am meisten brauchte.«
    Sie schaute noch immer auf ihren Finger, rührte sich nicht, als wäre sie zu einer Salzsäule erstarrt. »Oder glaubst du, daß er tot ist?«
    Ohne zu antworten, erhob ich mich und legte ihr tröstend den Arm auf die Schultern. Auf diese Weise tröstete ich mich auch selbst, denn Alexandros verbindet uns in Sehnsucht und Schmerz – und könnte uns trennen wie nichts anderes auf der Welt.
    Beide standen wir am Eingang des tiefen Gangs, der in die Katakomben der Vergangenheit führt, und suchten zugleich das Licht am Ende des Labyrinths.
    Bis heute
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher