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Die Heilanstalt (German Edition)

Die Heilanstalt (German Edition)

Titel: Die Heilanstalt (German Edition)
Autoren: Simon Geraedts
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unserem Frühstücksbuffet einladen zu dürfen!«
    Er rieb sich die Augen und sah sich um. Wo war er? Was war das für ein Zimmer?
    »Bitte begeben Sie sich in einer halben Stunde – beim Signalton – zum Speisesaal und bedienen Sie sich an unseren reichhaltigen Speisen!«
    Er schlug die Decke beiseite und stieg aus dem Bett. Sein Körper fühlte sich federleicht an; die Bewegungen glitten dahin, als würde er schweben.
    »Auch heute stehen Ihnen wieder allerlei Unterhaltungsangebote zur Verfügung! Möchten Sie Ihre Ausdauer verbessern und Ihren Körper beleben? Im Schwimmbad erwartet Sie ab 11 Uhr unsere erfahrene Wasseraerobic-Trainerin!«
    Er gähnte und reckte alle Glieder. Ihm war, als könnte er Bäume ausreißen. Aber etwas störte ihn, eine seltsame Blockade seiner Gedanken. Es gelang kein Blick auf Vergangenes, sein Gedächtnis war wie zugekleistert.
    »Oder bevorzugen Sie die Teilnahme an unserem Tischtennisturnier? Seien Sie nicht schüchtern und begeben Sie sich um 15 Uhr in die Turnhalle, um dort mit anderen Gästen den Schläger zu schwingen!«
    Er fühlte sich frisch und ausgeruht. Doch der Abgrund in seinem Kopf machte ihm zu schaffen. Immerhin überkamen ihn allmählich die Erinnerungen an seine gestrige Ankunft … aber was war davor? Warum war er hier? Konnte er überhaupt sagen, wer er war? Wusste er seinen eigenen Namen?
    »Unseren Neuankömmlingen bieten wir um 17 Uhr einen Rundgang durch den Wandelgarten! Außerdem …«
    Nun, er war soeben erst erwacht, sein Gedächtnis noch außer Betrieb. Hätte er die Schläfrigkeit einmal abgelegt, würden sich seine Gedanken problemlos ordnen lassen. Er ging ins Badezimmer und schloss die Tür; die Lautsprecherdurchsage, die vom Flur ins Zimmer dröhnte, war dort nur noch als gedämpftes Brummen zu hören. Er ging unter die Dusche, benutzte anschließend eines von mehreren weißen Handtüchern und betrachtete dann im Spiegel sein Gesicht. Er lächelte, so wohl war ihm, und erschrak, als er in seine Augen blickte. Er wich einen Schritt zurück, atmete stoßweise und kam zaghaft wieder näher. Seine Augen waren gläsern, ohne Ausdruck und Lebendigkeit. Sein Blick starrte ins Leere; es wollte ihm nicht gelingen, das Schwarz seiner Pupillen zu fixieren. Nur das Weiß, das seine Iris umgab, ließ sich erfassen. Er schüttelte den Kopf, massierte seine Tränensäcke und betrachtete seine Augen erneut. Doch sie blieben unverändert.
    Er verließ beunruhigt das Bad und spürte plötzlich ein Ziehen im Magen, ein Jucken wie von einem Mückenstich, der gekratzt werden wollte. Er ließ den Blick mit sorgenvoller Miene durchs Zimmer wandern und entdeckte schließlich die Teekanne auf dem Rand des Waschbeckens. Er eilte hinüber, ergriff die Kanne mit einer so hastigen Bewegung, dass er sie beinah umgestoßen hätte, und füllte mit zittrigen Händen den Becher. Einen Augenblick lang starrte er in die türkisfarbene Flüssigkeit und ließ sich von ihren einander überlagernden Mustern betäuben, die sich wundersam immer neu formten. Er fühlte, wie seine Sinne ermatteten und sich ein Grinsen auf sein Gesicht legte; dann setzte er den Rand des Bechers an die Lippen und trank mit großen Schlucken. Als erfrischender Genuss rann der Tee seinen Rachen hinab und breitete sich heilsam in ihm aus.
    Nachdem er den Becher geleert hatte, stieß er ein langes Ahh! aus und fand sein Inneres mit Wärme und Zufriedenheit umwoben. Das Jucken hatte aufgehört. Er wollte den Becher erneut füllen, als draußen vom Flur ein langes Ding-Dong ertönte; das Frühstücksbuffet war eröffnet.
    Er sah in den Schrank neben der Zimmertür und fand dort, neben Bademantel und -hose, ein weißes Gewand. Er nahm es vom Haken, schlüpfte hinein und zog dazu seine Pantoffeln an.
    Mehr zufällig als beabsichtigt blickte er in den Spiegel über dem Waschbecken und merkte, dass er sich nicht ansehen konnte; die Konturen verwackelten beim Versuch, sie zu fixieren. Mit einem Schulterzucken tat er es ab – er fühlte sich großartig – und begab sich gut gelaunt zum Speisesaal.

Frühstück
    Dort herrschte ein geschäftiges Treiben. Unüberschaubare Massen weißer Gewänder huschten durch den Raum, drängten sich zwischen den Tischen und standen Schlange am Buffet. Ein Stimmenwirrwarr hing in der Luft, durchsetzt von Lachsalven und Hustenanfällen. Das Knarren rückender Stühle war ebenso zu hören wie das Klirren von Besteck und Geschirr. Es roch nach Rührei, Toastbrot, Käse, Wurst und
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