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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme
Autoren: Cantz Kerstin
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hab, mich hier nicht länger allein zu lassen … Und jetzt kommst du, na so was«, sagte sie. »Ich bin Lotte Seiler. Und du? Du bist doch die Neue?«
    »Ja. Ich bin Gesa Langwasser.«
    »Du bist noch jung, um eine Hebamme zu sein oder auch nur eine zu werden. Wie alt bist du?«
    »Neunzehn.«
    »Na so was«, sagte Lotte wieder und kam auf sie zu. Sie neigte ihren Kopf zur Seite und begutachtete Gesa. Ihre flinken Augen huschten über alles, was sie interessierte. Mit ihrem leicht gedrungenen Körper und den kurzen Schritten wirkte sie wie eine Henne, die ihr Gelege abschreitet, und sogar ihre Haare erinnerten an das Gefieder brauner Hühner.
    »Und noch nicht verheiratet?«
    »Woher willst du das wissen?«
    Lotte blieb stehen und schaute Gesa weiter an.
    »Die Farben deiner Haubenbänder. Hellblau unverheiratet, weiß für die Witwen, blau für den Rest – das Dorf sieht alles, das muss ich dir doch nicht sagen. Sie haben doch bestimmt einen langen Hals gemacht, die Kerle – du bist hübsch. Also, wie hast du sie dir vom Leib gehalten? Hast du Waffen unter deinen Röcken versteckt? Die trägt man hier übrigens länger, hast du das gesehen?«
    Gesa lachte. Es war das erste Mal seit vielen Wochen, dass sie das konnte.
    »Willst du nicht mit mir rüberkommen?«, fragte Lotte und senkte ihre Stimme ein wenig. »Warum soll jede für sich sein? Nur, weil sie die Betten nicht voll kriegen. Nicht bei uns hier oben und bei den Schwangeren auch nicht. Heute Nacht ist ihnen eine entkommen. Der Professor war außer sich, den ganzen Tag hat er sich nicht beruhigt.«
    Entkommen?, dachte Gesa und fragte: »War die Hebamme deshalb so schlechter Dinge?«
    »Du wirst feststellen, dass sie keinen besonderen Grund braucht, um schlechter Dinge zu sein.«
    Sie folgte Lotte hinüber in das andere Zimmer, das sich in nichts von dem anderen unterschied. Dass es von Lotte bewohnt war, reichte Gesa, um sich dort besser zu fühlen. Sie überließ sich dieser jungen Frau wie ein Kind, folgte ihrem Rat, das klumpige Bett aufzuschütteln, nahm aus ihrer Hand das Leinzeug entgegen, um es zu beziehen und sich darauf niederzulassen.
    Sie ließ den Schmerz dieses Tages aus dem Körper gehen und musste nicht daran denken, dass noch ein anderer auf sie wartete. Sie konnte das vergessen, weil sie Lotte zuhörte, die ihr erzählte, dass sie verheiratet war und zwei Kinder geboren hatte, von denen eines nur ein Jahr alt geworden war. Sie sprach von ihrem Mann, der Schmied war und dem im vergangenen Sommer ein Ackergaul vor den Schädel getreten hatte. Sie erzählte, dass er seit dem Tritt nicht mehr richtig arbeiten konnte und dass sie ihn deshalb rumgekriegt hatte, sie etwas dazuverdienen zu lassen. Ihr Dorf in der Schwalm brauchte eine Hebamme, weil die alte wegen ihrer gichtigen Finger nicht mehr recht hinlangen konnte.
    »Jedenfalls«, sagte Lotte, »schlage ich zwei Fliegen mit einer Klappe. In diesem Jahr krieg ich selber kein Kind mehr, weil ich hier bin und weg von zu Hause. Nämlich eins sag ich dir: So geschwächt ist mein lieber Mann nun auch wieder nicht, dass er damit aufhören wollte, mir immer wieder ans Hemd zu gehen.«
    »Wie lange bist du denn schon hier?«, fragte Gesa schläfrig.
    »Drei Wochen.«
    »Wie ist es?«
    »Ach«, sagte Lotte. »Das wirst du morgen selber sehen.«

    Marietta war nervös, seit sie nach der Gottschalkin geschickt hatte. Sie öffnete den schweren Deckel der Truhe und ärgerte sich über den Staub, der selbst in dem matten Licht zu sehen war, das durch die kleinen Fenster in die Stube fiel.
    Sie war Herrin eines gut geführten Haushalts, die Frau des Töpfermeisters, und sie war es nicht gewohnt, ihr Handeln infrage zu stellen. In Wirklichkeit ärgerte sie sich maßlos über dieses dumme Ding, das im anderen Teil ihres Hauses auf dem Heuboden lag. Und wenn Marietta noch länger darüber nachdachte, dann musste sie selbst sich fast für ehrlos halten. Man konnte ihr vorwerfen, dass sie ihrer Pflicht nicht nachgekommen war, ein unerträglicher Gedanke.
    Sie zerrte eine grobe Decke hervor und schloss die Truhe mit einem Knall. Besser, sie machte alles selber. Das Gesinde würde nur herumplappern. Die neue Magd war zwar schwer von Begriff, aber an dem, was es da oben zu sehen gab, war nichts falsch zu verstehen.
    Deshalb hatte Marietta den alten Mattes geschickt, der fast taub war und zu nicht viel mehr nütze, als die Wache am Brennofen zu halten. Sie hatte ihn aus der Werkstatt fortzerren und an ihn hinschreien
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