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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme
Autoren: Cantz Kerstin
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Seine Gestalt wirkte groß und dunkel in dem kleinen Raum, doch das mochte an dem schwarzen Gehrock liegen und den schmalen Hosen.
    Die Alte fuhr auf, und ihr überraschtes Prusten hatte einen aufsässigen Unterton. Sie holte etwas unter der Schürze hervor, steckte es sich in den Mund und schob es, was auch immer es war, darin herum.
    »Aus Ihrer Frage schließe ich, dass Sie eine unserer Hebammenschülerinnen sind …«, sagte der Mann mit einem flüchtigen Lächeln. »Nun, ich kann Ihnen dazu sagen, dass Sie von Professor Kilian unterrichtet werden, einem angesehenen Geburtshelfer und Gelehrten. Und in unwesentlicheren Anteilen von mir.«
    Sie war sich selber fremd unter dem Blick dieses Mannes, der vermutlich ein Doktor der Medizin war und jünger, als man das von so jemandem denken würde.
    Er musste sie für unhöflich halten, weil sie immer noch keinen Ton herausgebracht hatte. Fahrig strich er seine Haare aus der Stirn, und entweder hatte er vergessen, seinen Namen zu nennen, oder fand möglicherweise, Gesa müsste sich zuerst vorstellen. Die Stille rauschte in ihren Ohren, und sie fühlte sich unbehaglich.
    »Wie auch immer …«, fuhr der Mann fort, »… Frau Textor, ich möchte Sie daran erinnern, dass wir von nun an in der Nacht das Haus verschließen, wenn Sie das bitte nicht vergessen möchten. Der Professor bat darum, es Ihnen noch einmal zu sagen. Das tue ich hiermit und empfehle mich.«
    Er nickte kurz und verschwand. Gesa lauschte auf seine Schritte, die sich rasch entfernten.
    »Vergessen!«, sagte die Hebamme und verzog ihr dickes Gesicht. »Wie soll ich das vergessen nach dem Affentheater heut früh.«
    Sie nahm ein großes Buch aus dem Schrank. Dann klappte sie das Tintenfass auf und begutachtete die Spitze der Schreibfeder.
    »Das war der Herr Doktor Heuser. Wenn du ihm schöne Augen machen willst, dann kannst du dir die Mühe sparen. Das Einzige, was der mit Weibern anfängt, ist nämlich, sie zu vermessen. Hast du das Geld?«
    Gesa stellte ihren Korb ab und begann ihr Bündel aufzuknüpfen.
    Sie zählte der Alten das Geld auf den Tisch, laut, so wie es der Dorfschulze getan hatte, feierlich, jeden Taler einzeln. Es beruhigte sie, ihre eigene Stimme zu hören. Das hatte ihr schon geholfen, als sie noch ein Kind war und Bele sie in den Nächten allein ließ.

    Es gab noch etwas, das Gesa beruhigte, nämlich mit nackten Füßen den Boden zu berühren. Dabei war es gleichgültig, ob es die feuchte Erde einer Wiese war, die harten Furchen eines Feldes oder die Kiesel am Grund des Alten Wassers, eines Weihers, in den sie jeden Herbst den Flachs zum Weichen gelegt hatte. Es war gleichgültig, ob es der Lehmboden zu Hause war, den sie fegen, befeuchten und festtreten musste, oder ein Holzboden, wie sie ihn von den größeren Höfen kannte und wie sie ihn jetzt hier unter den Füßen hatte, in dem Zimmer mit vier leeren Betten.
    Die Haushebamme hatte sie hier heraufgeführt, nachdem sie umständlich Gesas Namen in das Buch eingetragen hatte, ihre Konfession, den Tag ihrer Geburt und den Tag ihrer Ankunft im Gebärhaus zu Marburg. Gesa hatte versucht, weitere Eintragungen auf der Seite zu entdecken. Doch die Hebamme schrieb mit dicht über das Papier gebeugtem Kopf, und Gesa hatte nicht gewagt, ihr zum Entzünden der Kerze zu raten.
    Sie wagte auch nicht, nach etwas zu essen zu fragen, und so bekam sie auch nichts.
    Aus einer Kammer im oberen Flur hatte sie Leinzeug erhalten und etwas, das eine Schürze sein mochte, wie jene, die Frau Textor trug. Nun blickte Gesa auf ihre Füße hinab, auf denen die dicken Wollstrümpfe ein Muster hinterlassen hatten, und bewegte sie. Die Dielen schienen wärmer zu sein als die abgestandene Luft in dem Zimmer. Hier legte man offenbar nicht so viel Wert auf das Lüften. Über sich hörte sie ein Geräusch, als würde ein Stuhl verschoben, und nebenan öffnete sich eine Tür.
    Gesa setzte einen großen Zeh auf und zog einen Halbkreis in die dünne Staubschicht, die den Boden so gleichmäßig bedeckte, als hätte ihn lange niemand betreten. Sie breitete die Arme aus und drehte sich weiter, bis sie mit der Zehenspitze den Kreis schließen konnte. Ihr Blick war auf den Boden geheftet, und Gesa war überrascht, als ihr dort wenige Schritte entfernt ein zweites Paar nackter Füße begegnete, über dem sich der Saum eines dunkelblauen Kleides bewegte.
    In der Tür stand eine junge Frau und sah ihr zu.
    »Wenn man bedenkt, dass ich erst heute die heilige Elisabeth angefleht
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