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Die Hebamme

Die Hebamme

Titel: Die Hebamme
Autoren: Cantz Kerstin
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er.
    Niemals hätte er dann erfahren, dass etwas auf ihn wartete. Es hatte sich gelohnt, an der Ketzerbach die Ohren offen zu halten. Jetzt würde er mit ganz anderen Leuten ins Geschäft kommen.

    Nur kurz, als sie sich aufrichtete, mitten in der Bewegung, spürte Elgin den kleinen, bekannten Schmerz. Er pflegte mit gezielter Heftigkeit vom letzten Wirbelknochen nach innen zu zucken, um dort schlagartig zu verschwinden, und sie hatte gelernt, ihn sofort wieder zu vergessen.
    Lene schlief. Elgin hatte dafür gesorgt, dass sie ihren Sohn noch einmal anlegte, und nachdem er einige Male an der Brust gesaugt hatte, schien er tatsächlich ein glückliches Kind zu sein.
    Sie schliefen beide, nichts schien sie wecken zu können, nicht das kleinste Geräusch.
    Endlich hatte wohl jemand unten an der Stiege die Suppe abgestellt, nach der sie für Lene verlangt hatte. Sie hoffte auf die heißen Steine und Decken, auf Lappen, wenigstens ein paar saubere Lumpen, um das Kind zu wickeln.
    Es wurde tatsächlich Zeit.

    Im Auditorium nahm Doktor Clemens Heuser seine Position neben dem Professor ein. Während sich die ersten Studenten einfanden – wobei insgesamt nicht mehr als sieben junge Herren zu erwarten waren -, beobachtete Clemens die neue Schülerin. Kilian hatte die junge Frau zum größeren der beiden Instrumentenschränke auf der Stirnseite des Raumes geführt.
    Die andere, Lotte Seiler, hielt ihren Blick gesenkt und wendete sich ein wenig ab, denn sie wusste bereits, was dort zu sehen war.
    In dem Gesicht der neuen Schülerin dagegen waren vor allem Aufmerksamkeit und Konzentration zu sehen. Sie hob die Brauen und nickte, wenn Kilian ihr Pflichten und Aufgaben erläuterte, und ihr Gesicht wirkte immer offen. Sie schien bereit und willens, jedes Wort aufzunehmen, um es nicht mehr zu vergessen. Sie runzelte die Stirn, wenn sie Begrifflichkeiten nicht verstand, eine flüchtige Kontraktion der Muskulatur, kaum zu bemerken, fast wie eine nervöse Zuckung. Clemens hatte schon des Öfteren gefunden, der Professor könnte sich einer schlichteren Ausdrucksweise bedienen. Dies betraf vor allem die Unterweisung der Hebammenschülerinnen, von denen es seit der Eröffnung der Gebäranstalt ohnehin erst drei gegeben hatte. Doch darüber zu diskutieren lehnte Kilian ab, und das wusste Clemens auch.
    Manchmal hatte er durchaus den Verdacht, dass der Gelehrte ein kleines Pläsier daraus zog, die Unwissenheit im Gesicht seines Gegenübers aufscheinen zu sehen. So, wie er auch jetzt die Augen zusammenkniff, um ein berechenbares Erschrecken im Gesicht der Neuen nicht zu verpassen, oder möglicherweise einen winzigen Laut des Entsetzens.
    Was sie wohl dachte?
    Gesa richtete sich auf und sah dem Professor in das nahezu faltenlose Gesicht. Er musste alt sein, das legte sein weißes Haar nahe, und seine rundliche Statur ließ ihn freundlich wirken. Bislang war er auch so aufgetreten, und in diesem Moment sah der Professor aus, als hätte er eine Frage an sie. Dabei war sie es doch, die verstehen musste, was sie da vor sich hatte.
    Hinter der Schranktür hockten tote Wesen, zusammengekrümmt, dass man die Knöchelchen der kleinen Rücken zählen konnte. Manche von ihnen waren auf eine Weise verwachsen, als seien sie aus schlimmen Träumen in diese Gläser gekrochen. Sie hielten die Hände vor den geschlossenen Augen, als wollten sie sich vor den Blicken der Lebenden schützen. Das Wasser, oder was auch immer sie umgeben mochte, hatte ihre Haut sehr weiß gemacht.
    »Welchem Zweck dienen diese … Kinder?«, fragte sie.
    Gesa hörte den Widerhall ihrer Stimme in dem großen Raum, denn sie hatte sich bemüht, laut zu sprechen. Sie hörte vereinzeltes Gelächter, das von den Bänken kam, wo die jungen Männer in ihren schwarzen Anzügen saßen.
    Nichts von allem, mit dem sie heute bekannt gemacht worden war, hatte in ihr bislang die Befürchtung geweckt, sie würde es nicht bewältigen. Man hatte ihr die Wirtschaftsräume gezeigt und die Arbeitsstuben der Schwangeren, in denen kein Mensch zu sehen war, nur Spinnzeug und einige Bündel Flachs. Schon am frühen Morgen, als sie mit Lotte die Milchsuppe kochte, hatte sie erfahren, dass die übliche Hausarbeit einen Großteil ihrer Zeit einnehmen würde, und sie war sich nicht zu schade dafür. Man hatte sie durch das Haus geführt, sie mit dem jungen Hausknecht bekannt gemacht, dessen schlechte Haut ihr deutlicher in Erinnerung geblieben war als sein Name, und man hatte ihr eingeschärft, dass der Junge
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