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Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Die Goldspinnerin: Historischer Roman (German Edition)
Autoren: Gerit Bertram
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eine eindrucksvolle Erscheinung, aber diesmal wich Baldo nicht vor ihm zurück. Auch er erhob sich.
    »Glaubst du wirklich, du kannst deiner Bestimmung entgehen? Denkst du, wenn du die Stadt verlässt und nach Hamburg gehst, wird die Vergangenheit dich nicht einholen?« Emmeriks Lachen klang hohl.
    »Du wusstest, wo ich war, Vater?«
    »Meistens.«
    »Aber wie …?«
    »Lass gut sein, Junge.«
    Der Henker fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Ich bin des Kämpfens müde, will nicht mehr mit dir streiten. Die Zeit, als ich wütend auf dich war, ist vorbei. Ich will mit Marie, meiner neuen Frau, in Ruhe leben.« Er holte tief Luft. »Wie ich hörte, ist dein Name Adam. Ein Trommler bist du, ziehst mit den Gauklern durch die Lande. Habe ich recht?«
    Baldo nickte, zögernd. »Ja, Vater, aber …«
    »Wenn du gehen willst, dann geh. Ich werde dir keine Steine in den Weg legen. Habe in der Gropengrove einen willigen Kerl gefunden, der sich nicht zu schade ist, die Drecksarbeit nach meinem Tod fortzuführen.« Er streckte Baldo eine Hand entgegen.
    Als dieser sie ergriff, spürte er, wie sie zitterte.
    »Nun geh schon, Adam. Zu den Gauklern oder wohin auch immer. Gott sei mit dir.«
    Wie betäubt schaute Baldo auf den breiten Rücken, den der Vater ihm zugewandt hatte.
    »Hau ab, nun mach schon«, hörte er noch die brüchige, alte Stimme.
    Dann drehte er sich um und verließ steifen Schrittes das Haus.
     
    Verstohlen schaute Cristin zu ihrer Rechten und schenkte der älteren Frau mit dem gutmütigen Gesicht neben ihr ein Lächeln. »Du bist dir ganz sicher und möchtest mit uns reisen, Minna?«
    Diese erwiderte das Lächeln. »Ganz sicher. Meine Kinder haben eigene Familien. Hier bei Euch werde ich mehr gebraucht.«
    Cristin streichelte die Hand der Älteren. »Gebraucht wirst du. Ich freue mich sehr, wenn du uns begleitest.«
    »Dann gebt mir dieses Kind endlich auf den Schoß, Frau Bremer, damit ich Großmutter spielen kann.«
    Baldo lenkte die Pferde durch das Tor auf die Holstenbrücke. Während der Wagen aufs andere Ufer der Trave zurollte, drehte er den Kopf und sah sie an. »Wie geht es dir?«
    »Mit dir an meiner Seite? Gut.« Sie schmiegte sich an ihn und strich über das allmählich verblassende Würgemal, das Lüttke auf Baldos Hals hinterlassen hatte. »Ich bin so glücklich, dich gefunden zu haben.«
    »Du mich? War es nicht eher umgekehrt?«
    Sie knuffte ihn in die Seite. »Du bist unmöglich, Baldo Schimpf!«
    »Ich weiß.« Sein Mund verzog sich zu einem Grinsen. »Vergebt mir, Frau Bremer. Schließlich seid Ihr die Herrin und ich nur Euer Geselle …«
    »Red keinen Unsinn! Die Kupferschmiede wirst du eines Tages, wenn du eine Lehrzeit hinter dir hast, ganz allein führen, damit will ich nichts zu tun haben.«
    »Ich habe auch nichts anderes erwartet.«
    Sie warf ihm einen ernsten Blick zu. »Aber ich erwarte etwas, wenn wir erst in Hamburg sind.«
    »So? Was meinst du?«
    Cristin atmete tief die warme Frühlingsluft ein. »Dass du mich endlich fragst, ob ich dein Weib werden will!«
    Baldo schnalzte mit der Zunge und wiegte den Kopf. »Willst du wirklich so einen Kerl wie mich zum Mann?«
    »Ich kann mir keinen besseren vorstellen.«
    Minna schniefte geräuschvoll und wandte ihre Aufmerksamkeit Elisabeth zu. Der feuchte Schimmer in den Augen ihrer früheren und zukünftigen Lohnarbeiterin entging Cristin dennoch nicht.
    Baldo wollte etwas erwidern, aber Cristin beugte sich zu ihm hinüber und verschloss seinen Mund mit einem langen Kuss. »Keine Widerrede, Herr Schimpf!«
    Unbemerkt von ihnen, versteckt hinter mannshohen Büschen, stand ein Mann mit unbeweglichem Gesicht, dessen rot-grünes Wams sich im lauen Wind bauschte. Er sah dem Pferdewagen nach und hob eine Hand zum stummen Gruß.

Glossar
     
    Achterkastell: erhöhter Schiffsaufbau am Heck, meist mit hölzernen Zinnen umgeben.
    Bader: mittelalterlicher Heilberuf, der das Badewesen (Badehäuser) und die Körperpflege umfasste. Der Arzt der kleinen Leute. Hauptbehandlungsmethoden waren der Aderlass und das Schröpfen.
    Bangbüx: Bang: Angst haben, ängstlich sein, Büx = Hose.
    Beckergrove: heutige Beckergrube in Lübeck.
    Bleschhowerstrate: heutige Fleischhauerstraße in Lübeck.
    Brectehegel: heute Bargteheide, Ort zwischen Lübeck und Hamburg.
    Brunswick: heutiges Braunschweig.
    Büttel: auch Fronbote, mittelalterlicher Gerichtsdiener, Hilfspolizist.
    Bruche: mittelalterliche Unterhose des Mannes aus Leinen. Clingenberghe: Klingenberg,
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