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Die Goldhaendlerin

Die Goldhaendlerin

Titel: Die Goldhaendlerin
Autoren: Iny Lorentz
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oder Rittlages Männern auslieferte, würden sie das Geheimnis so laut hinausschreien, dass es jeder hören konnte. Dem Mann war anzusehen, dass er vor Wut kochte, aber im Wissen um die Gefahr, in der er selbst schwebte, nickte er widerwillig. Er konnte ja nicht ahnen, dass Lea ihn um Gretchens Willen nicht verraten würde, denn schließlich hatte die Freundin ihr Leben aufs Spiel gesetzt, um sie und Rachel zu retten.
    Als Leas Blick auf ein Bündel fiel, das weiter vorne im Flur auf einer Truhe lag und von einer rußenden Unschlittkerze beleuchtet wurde, wünschte sie Peter Pfeiffer insgeheim die Seuche an den Hals. Neben anderem Plündergut ragten eine Kapsel, die von einer Thorarolle abgerissen worden war, und ein neunarmiger Leuchter aus Silber, wie ihn wohlhabende Juden beim Chanucka-Fest verwendeten, aus dem Tuch. Gretchens Mann hatte also auch zu jenen gehört, die das Judenviertel gestürmt hatten.
    Lea hätte am liebsten vor ihm ausgespuckt, aber die Sorge um ihr eigenes Leben hielt sie ebenso davon ab wie die Hoffnung, der Mann würde ihr um Gretchens willen helfen, ihren Vater und ihre Brüder zu finden. Daher wandte sie sich ab und tat, als hätte sie nichts bemerkt. Sie musste Gewissheit haben, ob ihre Verwandten dem Pogrom entkommen waren. Ohne sich weiter um Peter Pfeiffer oder dessen Mutter zu kümmern, die vor sich hin schimpfend in einem Winkel stand, nahm sie die Lampe mit der erst halb abgebrannten Kerze von der Truhe und wollte die Tür öffnen.
    Die alte Pfeifferin vertrat ihr den Weg. »Was hast du vor?«
    »Ich gehe hinüber und suche nach meinen Angehörigen.«
    Gretchen kam ihr nach und schlang ihr die Arme um die Schultern. »Das ist zu gefährlich.«
    Ihr Mann winkte ab. »Lass sie gehen. Besser sie läuft in ihr Verderben, als dass sie uns die Nachbarn zusammenschreit, weil wir sie mit Gewalt zurückhalten. Wahrscheinlich sind die meisten schon nach Hause gelaufen oder sitzen in der Wirtschaft und vertrinken ihr Beutegut. Wenn jemand sie sieht, wird er denken, sie gehöre zu den Plünderern, die auf der Suche nach Dingen sind, die die anderen übersehen haben.«
    Er trat an die Hintertür, schob den Riegel zurück und winkte Lea spöttisch hinaus. Sie hob den Kopf und ging aufrecht an ihm vorbei, obwohl sie sich am liebsten geduckt hätte und wie ein Hase davongesprungen wäre. Erst als er die Tür hinter ihr verriegelte, wurde ihr klar, dass sie nun ganz auf sich allein gestellt war, und das Herz schien ihr vor Angst stehen bleiben zu wollen.
    Es kostete sie einige Überwindung, einen Fuß vor den anderen zu setzen und die Pforte ins Judenviertel zu durchschreiten, die im Schein der armseligen Lampe einer klaffenden Wunde glich.
    Scherben knirschten unter ihren nackten Füßen und schnitten in ihre Sohlen. Sie verbiss sich den Schmerz und ging unbeirrt weiter, bis sie Esra Ben Nachums Haus erreichte. Mit seinen leeren Fensterhöhlen wirkte es auf sie wie ein Totenkopf. Sie kämpfte mit sich, ob sie hineingehen oder umkehren sollte.
    Etwas in ihr wollte sie glauben machen, dass es sinnlos war, in dem unruhig flackernden Licht ihrer Laterne hier herumzusuchen. Gewiss schleppten sich die Bewohner des Hauses und ihre Gäste schon längst über dunkle Landstraßen und klagten Gott ihr Schicksal.
    Samuels Bild schob sich in ihre Gedanken. Als einziges Mitglied ihrer Familie hatte er sie ernst genommen und wie einen vollwertigen Menschen behandelt, ja, er hatte sie wie einen jüngeren Bruder unter seine Fittiche genommen, ihren Wissensdurst gestillt und ihr vieles beigebracht, was einem Mädchen sonst vorenthalten wurde. Sie spürte, wie ihr Herz sich wieder verkrampfte, denn ihr Bruder war stolz und aufbrausend und ließ sich nicht so schnell einschüchtern. Nur allzu gut erinnerte sie sich an die Klagen ihres Vaters, Samuel besäße zu viel Mut und zu wenig Vorsicht, um in diesem Land als Jude leben zu können.
    War er vor dem aufgebrachten Mob davongelaufen oder hatte er versucht, sich und die anderen zu verteidigen? Lea dachte schaudernd daran, was Peter Pfeiffer gesagt hatte, und begann zu ahnen, was sie in diesem Haus erwartete.
    Bis auf ein paar Holzstücke und Tonscherben war im Hausflur und in der ersten Kammer nichts mehr zu finden. Auch in der Küche gab es nur noch den gemauerten Ofen. Sogar das Brennholz hatten die Plünderer mitgehen lassen. Lea leuchtete den Boden und die Wände ab, konnte aber keine Blutspuren entdecken und atmete auf. Ihre Erleichterung hielt jedoch nur wenige
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