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Die Goldhaendlerin

Die Goldhaendlerin

Titel: Die Goldhaendlerin
Autoren: Iny Lorentz
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und hielt ihre Freundin fest. »Wir können nur noch beten. So, wie die Leute da draußen schreien, hört man sie in der ganzen Stadt, und das gibt deinen Angehörigen Zeit wegzulaufen. Wenn sie den Weg über den Markt nehmen, dürfen sie sich freikaufen, so hat es jedenfalls der Vogt bestimmt. Nur wer sich wehrt, soll erschlagen werden.«
    Lea hörte das Trampeln vieler Füße und verstand jetzt auch einzelne Worte. Rufe wie »Schlagt die Juden tot!« und »Verbrennt das Teufelsgezücht!« gellten durch die Gasse. An das Fenstergitter gepresst sah sie, wie sich eine große Menschenmenge heranwälzte, an ihrer Spitze einige kräftige Männer, die einen Baumstamm mit sich schleppten. Sie blieben vor der Pforte stehen und ließen ihn wie einen Rammbock gegen das Holz krachen, während die anderen sie johlend anfeuerten.
    Plötzlich wurde die Pforte geöffnet, und ein alter Jude trat heraus. »Liebe Leute, Friede sei mit euch …!«
    Weiter kam er nicht, denn zwei vierschrötige Kerle in buntscheckiger Tracht packten ihn und stießen ihn in die Menge, die ihn mit Schlägen und Knuffen empfing.
    Gretchen hatte ein weiteres Gestell herangezogen und kletterte darauf, um ebenfalls hinausschauen zu können. Oben angekommen klammerte sie sich mit der einen Hand an das Gitter und hielt mit der anderen Lea fest. »Die Männer mit dem Baumstamm sind Soldaten des Vogts, die andere Kleider angezogen haben, damit man sie nicht gleich erkennt. Ich habe dir doch gesagt, dass Alban von Rittlage das Ganze geplant hat, um die Juden auszuplündern. Die Leute, die morgen ihre Zinsen zahlen müssten, helfen ihm dabei, und die anderen machen mit, um plündern zu können oder weil die Hetzreden der Fremden ihnen den Kopf verdreht haben.«
    Gretchens Erklärung drang kaum in Leas Ohr, so hielten die Ereignisse sie gepackt. Am liebsten wäre sie weit weggelaufen und hätte sich in einer stillen, dunklen Ecke verkrochen, um nichts mehr hören oder sehen zu müssen. Gleichzeitig aber stieg eine brennende Wut in ihr hoch, so dass sie am liebsten mit den Fäusten auf die Leute draußen losgegangen wäre. Ihrem inneren Zwiespalt hilflos ausgeliefert starrte sie hinaus, ohne begreifen zu können, was ihre Sinne ihr zutrugen. Immer noch drangen mit Knüppeln, Messern und Forken bewaffnete Menschen in die Judengasse, in der die gellenden Schreie der Überfallenen den Lärm der Angreifer übertönten.
    »Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs, hilf meinem Vater und meinen Brüdern und all unseren Freunden und Verwandten aus dieser Not«, hörte Lea sich beten.
    Rachel zupfte an ihrem Kleid. »Nun sag doch, was geschieht da draußen?«
    »Man kann nicht viel sehen, weil die Mauer dazwischen ist«, antwortete Gretchen an Leas Stelle.
    Das stimmte, doch das Krachen der Äxte, mit denen die Türen eingeschlagen wurden, und all die anderen Geräusche, die noch viel Schrecklicheres vermuten ließen, waren nicht zu überhören.
    Nach und nach verstummten die Schreie der Juden, und als die Dämmerung hereinbrach, war nur noch der trunkene Jubel der Plünderer zu vernehmen.
    Mit einem Mal sank Lea kraftlos in sich zusammen und musste sich von Gretchen von dem wackligen Gestell herabhelfen lassen. Unten lehnte sie sich an die Wand und betete, wie sie seit der schweren Krankheit ihrer Mutter und deren Tod nicht mehr gebetet hatte. »Gott Israels, hilf uns. Beschütze Samuel und den Vater und Elieser. Lass nicht zu, dass ihnen etwas zustößt.«
    Rachel schob sich zwischen Gretchen und Lea, klammerte sich an ihre Schwester und stimmte verängstigt in das Gebet ein. So blieben die drei eng umschlungen stehen, bis die Nacht hereinbrach und der Widerschein von Flammen in den Keller drang.
    Da keine Warnrufe ausgestoßen wurden und auch keine Hilfeschreie zu vernehmen waren, nahmen sie an, dass die Plünderer die Reste zerschlagener Möbel in den Gärten angezündet hatten.
    Rachel fragte nicht nach dem Schicksal ihrer männlichen Angehörigen, sondern stieß zwischen spitzen Klagelauten immer wieder den Wunsch aus, nach Hause zu wollen. Obwohl Lea vor Angst beinahe starb, zog sie ihre Schwester an sich und versuchte, sie zu trösten. Ebenso wie Rachel hatte sie sich in Hartenburg sicher und geborgen gefühlt, obwohl es dort außer ihrer Familie und ihrem Gesinde um sie herum nur Christen gab. Jakob Goldstaub und die Seinen standen unter dem Schutz des Markgrafen, der jeden Aufruhr seiner Untertanen gegen seinen Hoffaktor und Bankier mit harter Hand unterbinden würde,
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